Bismarck in Audienz bei König Georg V. von Hanover. 103
kanzleimäßiges Mundum anzusehn. Der König schrieb über-
haupt nur seine Unterschrift, und auch diese schwerlich in dem
Gemach, in welchem er des Geheimnisses wegen mich empfangen
hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen,
daß es darüber sechs Uhr geworden war und der auf fünf be-
sohlnen Tischgesellschaft die Ursache der Verspätung nicht ent-
gehn konnte. Als die hinter dem Könige stehende Uhr schlug,
sprang er auf und ging wortlos und mit einer bei seiner
Blindheit überraschenden Schnelligkeit und Sicherheit durch das
mit Möbeln besetzte Gemach in das benachbarte Schlaf= oder
Ankleidezimmer. Ich blieb allein, ohne Direction, ohne Kennt-
niß der Localität des Schlosses, nur durch eine Aeußerung des
Königs unterrichtet, daß die eine der drei Thüren in das
Schlafzimmer der an den Masern krank liegenden Königin:)
führte. Nachdem ich mir hatte sagen müssen, daß Niemand
kommen werde, mich zu geleiten, trat ich durch die dritte Thür
hinaus und fand mich einem Lakaien gegenüber, der mich nicht
kannte und über mein Erscheinen in diesem Theile des Schlosses
erschrocken und aufgeregt war, sich jedoch beruhigte, als ich dem
Accente seiner mißtrauischen Frage entsprechend englisch antwortete
und zu der königlichen Tafel geführt zu werden verlangte.
Am Abende, ich weiß nicht, ob desselben oder des folgenden
Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen.
Während derselben nahm ich mit Erstaunen wahr, wie nach-
lässig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung
des großen Zimmers bestand in einem Doppelleuchter mit zwei
Wachskerzen, an denen schwere, metallne Lichtschirme ange-
klemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der
Kerze mit einem Geräusch, wie der Schlag auf ein Gong, zu
Boden; es erschien aber Niemand, befand sich auch Niemand
im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn
die Stelle der Klingel bezeichnen lassen, die ich zu ziehn hatte.
1) Maria, Prinzessin von Sachsen-Altenburg.