Begegnung mit Prinz Albert u. Königin Victoria. Prinzessin Victoria. 173
verdorben, in den royalistischen Traditionen der Familie auf-
gewachsen und bedürse zu meinem irdischen Behagen einer
monarchischen Einrichtung, dankte aber Gott, daß ich nicht da-
zu berufen sei, wie ein König auf dem Präsentirteller zu leben,
sondern bis an mein Ende ein getreuer Unterthan des Königs
zu sein. Daß diese meine Ueberzeugung aber allgemein erblich sein
würde, ließe sich nicht verbürgen, nicht weil die Royalisten
ausgehn würden, sondern vielleicht die Könige. Pour faire un
civet, il faut un lièvyre, et pour une monarchie, il faut un roi 0.
Ich könnte nicht dafür gut sagen, daß in Ermanglung eines
solchen die nächste Generation nicht republikanisch werden könne.
Indem ich mich so äußerte, war ich nicht frei von Sorge in
dem Gedanken an einen Thronwechsel ohne Uebergang der
monarchischen Traditionen auf den Nachfolger. Die Prinzessin
vermied indessen jede ernsthafte Wendung und blieb in dem
scherzenden Tone, liebenswürdig und unterhaltend wie immer;
sie machte mir mehr den Eindruck, daß sie einen politischen
Gegner necken wollte.
In den ersten Jahren meines Ministeriums habe ich noch
öfter bei ähnlichen Tischgesprächen beobachtet, daß es der Prin-
zessin Vergnügen machte, meine patriotische Empfindlichkeit
durch scherzhafte Kritik von Personen und Zuständen zu reizen.
Die Königin Victoria sprach auf jenem Balle in Verseailles
mit mir deutsch. Ich hatte von ihr den Eindruck, daß sie in
mir eine merkwürdige, aber unsympathische Persönlichkeit sah,
doch war ihre Tonart ohne den Anflug von ironischer Ueber-
legenheit, den ich bei dem Prinzen Albert durchzufühlen glaubte.
Sie blieb freundlich und höflich wie Jemand, der einen wunder-
lichen Kauz nicht unfreundlich behandeln will ?.
Bei dem Souper war mir im Vergleich mit Berlin die
1) Um einen Hasenpfeffer zu machen, bedarf man eines Hasens, und
um eine Monarchie zu machen, bedarf man eines Königs.
:) Vgl. Brief an Frau v. Bismarck vom 27. August 1855 S. 367.