Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Briefwechsel mit Gerlach über Legitimität und Bonapartismus. 181 
haupte, daß unser Ansehn in Europa heut nicht dasselbe ist 
wie vor 1848; ich meine sogar, es war größer zu jeder Zeit 
zwischen 1763 und 1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 
7 bis 13. Ich räume ein, daß unser Machtverhältniß zu andern 
Großmächten, namentlich aggressiv, vor 1806 ein stärkeres war 
als jetzt, von 15 bis 48 aber nicht; damals waren ziemlich 
Alle, was sie jetzt noch sind, und doch müssen wir sagen wie 
der Schäfer in Goethe's Gedicht: „Ich bin heruntergekommen 
und weiß doch selber nicht, wie. Ich will auch nicht behaupten, 
daß ich es weiß, aber viel liegt ohne Zweifel in dem Umstande: 
wir haben keine Bündnisse und treiben keine auswärtige Politik, 
das heißt, keine active, sondern wir beschränken uns darauf, 
die Steine, die in unsern Garten fallen, aufzusammeln und 
den Schmutz, der uns anfliegt, abzubürsten, wie wir können. 
Wenn ich von Bündnissen rede, so meine ich damit keine Schutz- 
und Trutzbündnisse, denn der Frieden ist noch nicht bedroht; 
aber alle die Nuancen von Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder 
Absicht, für den Fall eines Krieges dieses oder jenes Bündniß 
schließen, zu dieser oder jener Gruppe gehören zu können, 
bleiben doch die Basis des Einflusses, den ein Staat heut zu 
Tage in Friedenszeiten üben kann. Wer sich in der für den 
Kriegsfall schwächern Combination befindet, ist nachgiebiger 
gestimmt; wer sich ganz isolirt, verzichtet auf Einfluß, besonders 
wenn es die schwächste unter den Großmächten ist. Bündnisse 
sind der Ausdruck gemeinsamer Interessen und Absichten. Ob 
wir Absichten und bewußte Ziele unfrer Politik überhaupt jetzt 
haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran 
werden uns Andre schon erinnern. Wir aber haben die Wahr- 
scheinlichkeit eines Bündnisses bisher nur mit denen, deren 
Interessen sich mit den unsrigen am mannigfsachsten kreuzen 
und ihnen widersprechen, nämlich mit den deutschen Staaten 
und Oestreich. Wollen wir damit unfre auswärtige Politik 
abgeschlossen betrachten, so müssen wir uns auch mit dem Ge-
	        
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