Briefwechsel mit Gerlach über Legitimität und Bonapartismus. 201
wir der Benutzung revolutionärer Unterlagen nicht entgehn.
Viele der berührten Zustände sind eingealtert, und wir haben
uns an sie gewöhnt; es geht uns damit, wie mit allen den
Wundern, welche uns täglich 24 Stunden lang umgeben, deß-
halb aufhören, uns wunderbar zu erscheinen, und niemand
abhalten, den Begriff des „Wunders“ auf Erscheinungen einzu-
schränken, welche durchaus nicht wunderbarer sind als die eigne
Geburt und das tägliche Leben des Menschen.
Wenn ich aber ein Prinzip als oberstes und allgemein
durchgreifendes anerkenne, so kann ich das nur insoweit, als
es sich unter allen Umständen und zu allen Zeiten bewahrheitet,
und der Grundsatz quod ab initio vitiosum, lapsu temporis
convalescere nequit 1) bleibt der Doctrin gegenüber richtig.
Aber selbst dann, wenn die revolutionären Erscheinungen der
Vergangenheit noch nicht den Grad von Verjährung hatten,
daß man von ihnen sagen konnte, wie die Hexe im Faust von
ihrem Höllentrank: „Hier hab' ich eine Flasche, aus der ich
selbst zuweilen nasche, die auch nicht mehr im mind'sten stinkt",
hatte man nicht immer die Keuschheit, sich liebender Berüh-
rungen zu enthalten; Cromwell wurde von sehr antirevolutio-
nären Potentaten „Herr Bruder“ genannt und seine Freund-
schaft gesucht, wenn sie nützlich erschien; mit den Generalstaaten
waren sehr ehrbare Fürsten im Bündniß, bevor sie von Spanien
anerkannt wurden. Wilhelm von Oranien und seine Nach-
folger in England galten, auch während die Stuarts noch prä-
tendirten, unsern Vorfahren für durchaus koscher, und den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika haben wir schon in dem
Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Ursprung
verziehn. Der jetzige König von Portugal 2) hat uns in Berlin
1) Was von Anfang an bresthaft ist, kann auch nicht durch den
Verlauf der Zeit gesund werden, Citat aus Corpus Juris, Dig. de di-
versis regulis iuris antiqui 50, 17, fragm. 29.
2:) Dom Pedro V.