206 Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
regiren können. Louis Napoleon hat die revolutionären Zu-
stände des Landes nicht geschaffen, die Herrschaft auch nicht in
Auflehnung gegen eine rechtmäßig bestehende Autorität ge-
wonnen, sondern sie als herrnloses Gut aus dem Strudel der
Anarchie herausgesischt. Wenn er sie jetzt niederlegen wollte,
so würde er Europa in Verlegenheit setzen, und man würde
ihn ziemlich einstimmig bitten, zu bleiben; und wenn er sie an
den Herzog von Bordeauxy cedirte, so würde dieser sie sich
ebensowenig erhalten können, als er sie zu erwerben vermochte.
Wenn Louis Napoleon sich den élu de sept millions nennt, so
erwähnt er damit einer Thatsache, die er nicht wegläugnen
kann; er vermag sich keinen andern Ursprung zu geben, als
er hat; daß er aber, nachdem er im Besitz der Herrschaft ist,
dem Prinzip der Volkssouveränetät practisch zu huldigen fort-
führe und von dem Willen der Massen das Gesetz empfinge,
wie das jetzt mehr und mehr in England einreißt, kann man
von ihm nicht sagen.
Es ist menschlich natürlich, daß die Unterdrückung und
schändliche Behandlung unfres Landes durch den ersten Na-
poleon in allen, die es erlebt haben, einen unauslöschlichen
Eindruck hinterlassen hat und daß in deren Augen das böse
Prinzip, welches wir in Gestalt der Revolution bekämpfen, sich
allein mit der Person und dem Geschlechte dessen identificirt,
den man Dheureux soldat héritier de la révolution ?) nannte;
aber mir scheint, daß Sie dem jetzigen Napoleon zu viel auf-
bürden, wenn Sie grade in ihm und nur in ihm die zu be-
kämpfende Revolution personificiren und aus diesem Grunde
die Proscription über ihn aussprechen, so daß es wider die
Ehre sei, mit ihm umzugehn. Jedes Kennzeichen der Revo-
1) Heinrich V., Graf v. Chambord, Herzog von Bordeaux, Enkel
des Königs Karl X. von Frankreich, gest. 24. August 1883. Er galt
seit dem Tode Karls X. als „legitimer“ König von Frankreich.
!) Den glücklichen militärischen Erben der Revolution.