212 Achtes Kapitel: Besuch in Paris.
Gerlach erwiderte:
„Sanssouci, den 5. Junius 1857 y.
.. Zunächst will ich gern die practische Seite Ihrer An-
sicht anerkennen. Nesselrode sagte hier mit Recht, ebenso wie
Sie, daß, so lange Buol regiere (Sie nennen richtig Bach zu-
gleich mit), es nicht möglich wäre, sich mit Oestreich zu stellen.
Oestreich hätte mit lauter Freundschafts-Versicherungen Europa
gegen sie (d. i. die Russen) gehetzt, ihnen das Stück Bessarabien
entrissen und thäte ihnen noch jetzt das gebrannte Herzeleid
an. Aehnlich benimmt es sich mit uns und hat sich während
des orientalischen Krieges scheuslich perfide benommen. Wenn
Sie also sagen, man kann nicht mit Oestreich gehen, so hat
das eine relative Wahrheit, und würden wir in casu con-
creto?) schwerlich uns hierüber veruneinigen. Vergessen Sie
aber nicht, daß die Sünde stets wieder die Sünde gebiert und
daß Oestreich uns auch ein Sündenregister schlimmer Art vor-
halten kann, z. B. die Abwehr des Einmarsches 1849 in den
Badischen Seekreis, was den eigentlichen Verlust von Neuen-
burg, das damals durch den Prinzen von Preußen zu erobern
war, bewirkt hat, dann die Radowitzische Politik, dann die hoch-
müthige Behandlung des Interim), bei dem selbst Schwarzen-
berg guten Willen hatte, und endlich eine Menge unbedeuten-
derer Einzelnheiten: alles Repetitionen der Politik von 1793
bis 1805. Die Anschauung aber, daß unser schlechtes Verhält-
niß zu Oestreich nur ein relatives sein darf, wird bei jeder
Gelegenheit practisch, indem sie einmahl die Rache von unfrer
Seite, weil sie nur zu Unglück führen kann, verhindert und
dann den Willen zur Versöhnung und Annäherung festhält
und daher das, was eine solche Annäherung unmöglich macht,
1) Briefe Gerlach's 2c. S. 216 ff.
2) Im eintretenden Falle.
2:) S. o. S. 92 Anm. 1.