Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

226 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. 
  
dem Prinzen und die Möglichkeit weitrer Einmischung meiner- 
seits. Er fragte mich, weshalb ich nicht auf meinen Posten 
ginge, wo ich in der gegenwärtigen Situation sehr nöthig sein 
würde. Ich erwiderte: „Ich bin hier viel nöthiger“ 0. 
Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der 
Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stell- 
vertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf 
je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Ver- 
längrung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer 
1858 war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu ver- 
anlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen 
Bruder zu beschaffen, in dem zu sagen sei, daß er sich wieder 
wohl genug fühle, um die Regirung zu übernehmen, und dem 
Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztre 
war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte 
also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder ausge- 
hoben werden. Die Regirung würde dann, unter Controlle 
der königlichen Unterschrift durch Ihre Mcajestät die Königin, 
von den dazu berufnen oder sich darbietenden Herrn vom Hofe 
geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine 
Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ab- 
lehnte, das würde eine Haremsregirung werden. Ich wurde 
von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort?) den 
Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu 
nennen. „Dann nehme ich meinen Abschied!“ rief der Prinz. 
Ich stellte ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militä- 
rischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer 
machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staats- 
ministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister 
1) Vgl. den Brief vom 19. Dec. 1857 in Bismarck's Briefen an den 
General L. v. Gerlach S. 337 ff. und Gerlach's Antwort in Gerlach's 
Briefen an Bismarck S. 222 ff. 
) Am 15. Juli 1858.
	        
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