Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

232 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. 
  
weil er unklar liberal und mehr anekdotenerzählender Höfling 
als Staatsmann sei; und Frau von Usedom würde uns durch 
ihre Excentricität Verlegenheit und unerwünschte Eindrücke in 
Frankfurt zuziehen. 
Worauf der Regent: „Das ist es ja eben, daß die hohe 
Befähigung Usedom's sich nirgendwo anders verwerthen läßt, 
weil seine Frau an jedem Hofe Verlegenheiten herbeiführen 
würde.“ Letztres geschah nicht blos an Höfen, sondern auch 
in dem duldsamen Frankfurt, und die Unannehmlichkeiten, 
welche sie in Ueberschäpung ihrer gesandschaftlichen Präroga- 
tive Privatleuten bereitete, arteten bis zu öffentlichen Scanda- 
losen aus. Aber Frau von Usedom war geborne Engländerin?#) 
und fand deshalb bei der Inferiorität des deutschen Selbstge- 
fühls bei Hofe eine Nachsicht, deren sich keine deutsche Frau 
zu erfreuen gehabt haben würde. 
Meine Erwiderung dem Regenten gegenüber lautete un- 
gefähr: „Dann ist es also ein Fehler, daß ich nicht auch eine 
taktlose Frau geheirathet habe, sonst würde ich auf den Posten, 
auf dem ich mich heimisch fühle, denselben Anspruch haben wie 
Graf Usedom.“ 
Darauf der Regent: „Ich begreife nicht, wie Sie die Sache 
so bitter auffassen können; Petersburg hat doch immer für den 
obersten Posten der preußischen Diplomatie gegolten, und Sie 
sollten es als einen Beweis hohen Vertrauns aufnehmen, daß 
ich Sie dahin schicke.“ 
Darauf ich: „Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses 
Zeugniß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch 
bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jeder- 
zeit gestattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische 
Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. 
1) Tochter des Generallieutenants Sir Malcolm; sie starb am 
h9. October 1886.
	        
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