242 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft.
Natur einer Begünstigung derjenigen Minister, welche der
obersten Staatsleitung unbequem waren. Am meisten war dies
vielleicht der Graf Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen
Oberbürgermeister Winter in Danzig und andern liberalen
Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den
Regenten so weit, daß er schriftliche Befehle schriftlich damit
erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als
das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm wider-
wärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in
unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf
Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf
einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie
gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in
die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet,
zu den Acten genommen wurde. Auch an meinem Abschieds-
gesuche von 1877 war zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul
geballt hatte, bevor er darauf antwortete.
5.
Ich wurde am 29. Januar 1859 zum Gesandten in Peters-
burg ernannt, verließ Frankfurt aber erst am 6. März und
verweilte bis zum 23. desselben Monats in Berlin 1). Während
dieser Zeit hatte ich Gelegenheit, von der Verwendung der
östreichischen geheimen Fonds, der ich bis dahin nur in der
Presse begegnet war, einen praktischen Eindruck zu gewinnen.
Der Bankier Levinstein, welcher seit Jahrzehnten bei meinen
Vorgesetzten und in deren vertraulichen Aufträgen in Wien und
Paris mit den Leitern der auswärtigen Politik und mit dem
Kaiser Napoleon in Person verkehrt hatte, richtete am Morgen
des Tages, auf den meine Abreise festgesetzt war, das nach-
stehende Schreiben an mich:
„Ew. Excellenz erlaube ich mir noch hiemit ganz ergebenst
1) Vgl. Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin S. 397—404.