250 Zehntes Kapitel: Petersburg.
leitende Rolle zu spielen; der Fürst Suworow, der wohl-
wollendste für uns Deutsche, bei dem der russische General
nicolaitischer Tradition stark, aber nicht unangenehm, mit bur-
schikosen Reminiscenzen deutscher Universitäten versetzt war;
mit ihm dauernd im Streit und doch in gewisser Freundschaft
Tschewkin, der Eisenbahn-General, von einer Schärfe und
Feinheit des Verständnisses, wie sie bei Verwachsenen mit der
ihnen eigenthümlichen klugen Kopfbildung nicht selten gefunden
wird; endlich der Baron Peter von Meyendorff, für mich die
sympathischste Erscheinung unter den ältern Politikern, früher
Gesandter in Berlin, der nach seiner Bildung und der Fein-
heit seiner Formen mehr dem alexandrinischen Zeitalter an-
gehörte und in ihm durch Intelligenz und Tapferkeit sich aus
der Stellung eines jungen Offiziers in einem Linienregimente,
in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu einem Staats-
manne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem Kaiser
Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit seines
gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesent-
lich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vor-
nehme, ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm
Grade als ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt,
den Beweis lieferte, daß in der gräflich Buolschen Familie
der erbliche Verstand ein Kunkellehn 1) war. Ihr Bruder, der
östreichische Minister Graf Buol, hatte daran nicht den An-
theil geerbt, der zur Leitung der Politik einer großen Monarchie
unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister standen einander per-
sönlich nicht näher als die russische und die östreichische Politik.
Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien beglaubigt war,
war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart, daß Frau
von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner für
1) Unter Kunkellehn versteht man ein Lehen, das beim Aussterben
des Mannesstammes an die Cognaten (Weiber oder durch Weiber in
das Geschlecht gekommene Verwandte) fällt.