Charakteristik der Petersburger Gesellschaft. 251
Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel
die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser
Nicolaus wünschte damals unfre Verständigung mit Oestreich.
Als ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs,
von meiner Ernennung nach Wien die Rede war, fand das
Verhältniß zwischen ihr und ihrem Bruder in den Worten
Ausdruck: sie hoffe, daß ich nach Wien kommen und „dem Karl
ein Gallenfieber anärgern würde". Frau von Meyendorff war
als Frau ihres Gemals patriotische Russin und würde auch
ohnedies schon nach ihrem persönlichen Gefühl die feindselige
und undankbare Politik nicht gebilligt haben, zu welcher Graf
Buol Oestreich bewogen hatte.
Die dritte Generation, die der jungen Herrn, zeigte in
ihrem gesellschaftlichen Auftreten meist weniger Höflichkeit, mit-
unter schlechte Manieren und in der Regel stärkre Abneigung
gegen deutsche, insbesondere preußische Elemente als die beiden
ältern Generationen. Wenn man, des Russischen unkundig,
sie deutsch anredete, so waren sie geneigt, ihre Kenntniß dieser
Sprache zu verleugnen, unfreundlich oder garnicht zu antworten
und Civilisten gegenüber unter das Maß von Höflichkeit herab-
zugehn, welches sie in den Uniform oder Orden tragenden
Kreisen untereinander beobachteten. Es war eine zweckmäßige
Einrichtung der Polizei, daß die Dienerschaft der Vertreter
auswärtiger Regirungen durch Tressen und das der Diplomatie
vorbehaltne Costüm eines Lioree-Jägers gekennzeichnet war.
Die Angehörigen des diplomatischen Corps würden sonst, da
sie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder
Orden zu tragen, sowohl von der Polizei als von Mitgliedern
der höhern Gesellschaft denselben zu Conflicten führenden Un-
annehmlichkeiten ausgesetzt gewesen sein, welche ein ordensloser
Civilist, der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im
Straßenverkehr und auf Dampfsschiffen leicht erleben konnte.
In dem Napoleonischen Paris habe ich dieselbe Beobach-