Gastlichkeit des Hofes. Ein enfant terrible. Russische Unterschleife. 257
später Gemalin des Prinzen Wilhelm von Baden, an Stelle
ihrer Großmutter mit der ihr eignen Grazie und Heiterkeit
die Honneurs zu machen. Auch erinnre ich mich, daß bei einer
andern Gelegenheit eine vierjährige Großfürstin sich um den
Tisch von vier Personen bewegte und sich weigerte, einem hohen
General die gleiche Höflichkeit wie mir zu erweisen. Es war
mir sehr schmeichelhaft, daß dieses großfürstliche Kind auf die
großmütterliche Vorhaltung antwortete: in Bezug auf mich:
on milnd (er ist lieb), in Bezug auf den General aber hatte sie
die Naivität, zu sagen: on wonjaet (er stinkt), worauf das
großfürstliche enfant terrible entfernt wurde.
Es ist vorgekommen, daß preußische Offiziere, welche lange
in einem der kaiserlichen Schlösser wohnten, von russischen
guten Freunden vertraulich befragt wurden, ob sie wirklich so
viel Wein u. dergl. verbrauchten, wie für sie entnommen werde;
dann würde man sie um ihre Leistungsfähigkeit beneiden und
ferner dafür sorgen. Diese vertrauliche Erkundigung traf auf
Herrn von sehr mäßigen Gewohnheiten; mit ihrem Einver-
ständnisse wurden die von ihnen bewohnten Gemächer unter-
sucht: in Wandschränken, mit denen sie unbekannt waren, fan-
den sich zurückgelegte Vorräthe hochwerthiger Weine und sonstiger
Bedürfnisse in Massen.
Bekannt ist, daß dem Kaiser einmal das ungewöhnliche
Quantum von Talg aufgefallen war, welches jedes Mal in
den Rechnungen erschien, wenn der Prinz von Preußen zum
Besuche dort war, und daß schließlich ermittelt wurde, daß er
bei seinem ersten Besuche sich durchgeritten und am Abend das
Verlangen nach etwas Talg gestellt hatte. Das verlangte Loth
dieses Stoffes hatte sich bei spätern Besuchen in Pud y ver-
wandelt. Die Aufklärung erfolgte zwischen den hohen Herr-
schaften persönlich und hatte eine Heiterkeit zur Folge, welche
den betheiligten Sündern zu Gute kam.
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) 1 Pud = 20 Pfund.
Otto Zürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 17