Russische Beharrlichkeit. Bismarck ohne Einfluß in Berlin. 259
3.
Während des italienischen Krieges glaubte ich noch an die
Möglichkeit, in der Stellung eines Gesandten in Petersburg,
wie ich es von Frankfurt aus mit wechselndem Erfolge ver-
sucht hatte, auf die Entschließungen in Berlin einwirken zu
können, ohne mir klar zu machen, daß die übermäßigen An-
strengungen, die ich mir zu diesem Zwecke in meiner Bericht-
erstattung auferlegte, ganz fruchtlos sein mußten, weil meine
Immediatberichte und meine in Form eigenhändiger Briefe
gefaßten Mittheilungen entweder garnicht zur Kenntniß des
Regenten gelangten oder mit Commentaren, die jeden Eindruck
hinderten. Meine Ausarbeitungen hatten außer einer Com-
plicirung der Krankheit, in welche ich durch ärztliche Vergiftung
gefallen war, nur die Folge, daß die Genauigkeit meiner
Berichte über die Stimmungen des Kaisers verdächtigt wurde
und, um mich zu controlliren, der Graf Münster, früher
Militärbevollmächtigter in Petersburg, dorthin geschickt wurde.
Ich war im Stande, dem mir befreundeten Inspicienten zu
beweisen, daß meine Meldungen auf der Einsicht eigenhändiger
Bemerkungen des Kaisers am Rande der Berichte russischer
Diplomaten beruhten, die Gortschakow mir vorgelegt hatte,
und daneben auf mündlichen Mittheilungen persönlicher Freunde,
die ich in dem Cabinet und am Hofe besaß. Die eigenhändigen
Marginalien des Kaisers waren mir vielleicht mit berechneter
Indiscretion vorgelegt worden, damit ihr Inhalt auf diesem
weniger verstimmenden Wege nach Berlin gelangen sollte 7.
Diese und andre Formen, in denen ich von besonders
wichtigen Mittheilungen Kenntniß erhielt, sind charakteristisch
für die damaligen politischen Schachzüge. Ein Herr, welcher
mir gelegentlich eine solche vertraute, wandte sich beim Abschiede
1) Vgl. Brief Bismarck's an Minister v. Schleinitz vom 22. Mai 1859
im Briefwechsel Bismarck's mit Schleinitz S. 25.