Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

288 Elftes Kapitel: Zwischenzustand. 
  
ich nicht gern einen Collegen haben, der halb in London wohnt. 
Will er nicht ganz dahin ziehn, so gönne ich ihm von Herzen 
zu bleiben, wo er ist, und halte es nicht für freundschaftlich, 
ihn zu drängen. 
Herzliche Grüße an die Ihrigen. Ihr treuer Freund und 
bereitwilliger, aber nicht muthwilliger Kampfgenosse, wenn's 
sein muß; im Winter noch lieber als bei die Hitze!“ 
Unter dem 4. Juni schrieb mir Roon von Berlin½: 
„Am Sonntage sprach mir Schleinitz über den Ersatz 
für Hohenlohe und meinte, Ihre Zeit wäre noch nicht gekommen. 
Als ich ihn fragte, wer denn als Haupt des Ministerii fungiren 
sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe 
dann nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er 
darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich 
dies beunruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher 
gestern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerprä- 
sidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte 
Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentschlossenheit. Wer 
kann da helfen? Und wie soll dies enden? — — Keine regie- 
rungsfähige Partei! Die Demokraten sind selbstverständlich 
ausgeschlossen, aber die große Majorität besteht aus Demo- 
kraten und solchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreß- 
entwurf von Loyalitätsversicherungen trieft. Daneben die Con- 
stitutionellen, d. h. die eigentlichen, ein Häuflein von wenig 
mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conser- 
vative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also findet eine 
mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche Partei 
kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demokraten, 
und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen 
Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im 
) Der Brief ist vollständig veröffentlicht im Bismarck-Jahrbuch 
III 233 f., Roon's Denkwürdigteiten II7 93 ff.
	        
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