Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

292 Elftes Kapitel: Zwischenzustand. 
  
Am 27. Juni y hatte der Kaiser mich nach Fontainebleau 
eingeladen und machte mit mir einen längern Spaziergang. 
Im Laufe der Unterhaltung über politische Fragen des Tags 
und der letzten Jahre fragte er mich unerwartet, ob ich glaubte, 
daß der König geneigt sein würde, auf eine Allianz mit ihm 
einzugehn. Ich antwortete, der König hätte die freundschaft- 
lichsten Gesinnungen für ihn, und die Vorurtheile, die früher 
in der öffentlichen Meinung bei uns in Betreff Frankreichs ge- 
herrscht hätten, seien so ziemlich verschwunden; aber Allianzen 
seien das Ergebniß der Umstände, nach denen das Bedürfniß 
oder die Nützlichkeit zu beurtheilen sei. Eine Allianz setze ein 
Motiv, einen bestimmten Zweck voraus. Der Keiser bestritt 
die Nothwendigkeit einer solchen Voraussetzung; es gäbe Mächte, 
die freundlich zu einander ständen, und andre, bei denen das 
weniger der Fall sei. Angesichts einer ungewissen Zukunft müsse 
man sein Vertraun nach irgend einer Seite richten. Er spreche 
von einer Allianz nicht mit der Absicht eines abenteuerlichen 
Projects; aber er finde zwischen Preußen und Frankreich eine 
Conformität der Interessen und darin die Elemente einer entente 
intime et durable:). Es würde ein großer Fehler sein, die 
Ereignisse schaffen zu wollen; man könne ihre Richtung und 
Stärke nicht vorausberechnen, aber man könne sich ihnen gegen- 
über einrichten, se prémunir, en avisant aux moyens pour 7 
faire face et en profiter?). Dieser Gedanke einer „diplomatischen 
Allianz“, in welcher man die Gewohnheit gegenseitigen Ver- 
1) Das Datum ist hier berichtigt nach dem amtlichen Bericht an 
Bernstorff; auch aus dem Briefe Bismarck's an die Gattin vom 25. Juni 
geht hervor, daß die Einladung auf den 27. Juni erfolgte; am 26. Juni, 
dem Geburtstage des Sultans, aß Bismarck beim türkischen Gesandten 
(Bismarck's Briefe an seine Braut und Gattin S. 481). 
2) Eines innigen und dauernden Einvernehmens. 
„) Sich im voraus sichern, indem man auf Mittel bedacht ist, um 
ihnen (den Ereignissen) die Stirn zu bieten und aus ihnen Nutzen zu 
ziehen.
	        
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