304 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
stimmung hatte ihren Grund darin, daß der König mir in Aus-
sicht gestellt hatte, mir in spätestens sechs Wochen Gewißheit
über meine Zukunft d. h. darüber zu geben, ob ich in Berlin,
Paris oder London mein Domizil haben sollte, daß darüber aber
schon ein Vierteljahr verflossen war und ich im Herbst noch
immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde. Ich
war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut,
daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte
abgeben können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt,
mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den
Eindruck, den die Thatsache meiner Audienz gemacht hatte, er-
sah ich zunächst aus der Mittheilung Roon's, daß der König
mit Bezug auf mich zu ihm gesagt habe: „Mit dem ist es auch
nichts, er ist ja schon bei meinem Sohne gewesen.“ Die Trag-
weite dieser Aeußerung wurde mir nicht sofort verständlich, weil
ich nicht wußte, daß der König sich mit dem Gedanken der
Abdication trug und voraussetzte, daß ich davon gewußt oder
etwas vermuthet hätte und mich deshalb mit seinem Nachfolger
zu stellen gesucht habe.
In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des
Königs fremd, als ich am 22. September in Babelsberg
empfangen wurde 1),, und die Situation wurde mir erst klar,
als Se. Mgcjestät sie ungefähr mit den Worten präcifirte: „Ich
will nicht regiren, wenn ich es nicht se vermag, wie ich es vor
Gott, meinem Gewissen und meinen Unterthanen verantworten
kann. Das kann ich aber nicht, wenn ich nach dem Willen der
heutigen Majorität des Landtags regiren soll, und ich finde keine
Minister mehr, die bereit wären, meine Regirung zu führen,
ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unter-
werfen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Regirung nieder-
zulegen, und meine Abdicationsurkunde, durch die angeführten
) Vgl. dazu auch die Mittheilungen v. Keudell's S. 110 f.