Als Auscultator beim Stadtgericht. Ein Sühneversuch. 9
bei ihm bleiben wollte. Mit seinem lispelnden Zungenanschlage
sprach Prätorius die Frau also an: „Aber Frau, sei sie doch
nicht so dumm; was hat sie denn davon? Wenn sie nach
Hause kommt, schlägt ihr der Mann die Jacke voll, bis sie es
nicht mehr aushalten kann. Sage sie doch einfach Ja, dann
ist sie mit dem Säufer kurzer Hand auseinander.“ Darauf
die Frau weinend und schreiend: „Ich bin eine ehrliche Frau,
kann die Schande nicht auf mich nehmen, will nicht geschieden
sein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieser Tonart
wandte sich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da sie nicht
Vernunft annehmen will, so schreiben Sie, Herr Referendarius,“
und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
welchen sie mir machten, noch heut auswendig weiß: „Nachdem
der Sühneversuch angestellt und die dafür dem Gebiete der
Moral und Religion entnommnen Gründe erfolglos geblieben
waren, wurde wie folgt weiter verhandelt.“ Mein Vorgesetzter
erhob sich und sagte: „Nun merken Sie sich, wie man das
macht, und lassen Sie mich künftig mit dergleichen in Ruhe.“
Ich begleitete ihn zur Thüre und setzte die Verhandlung fort.
Die Station der Ehescheidungen dauerte, so viel ich mich
erinnre, vier bis sechs Wochen, ein Sühneversuch kam mir nicht
wieder vor. Es war ein gewisses Bedürfniß vorhanden für
die Verordnung über das Verfahren in Ehescheidungen, auf
welche Friedrich Wilhelm IV. sich beschränken mußte, nachdem
sein Versuch, ein Gesetz über Aenderung des materiellen Ehe-
rechts zu Stande zu bringen, an dem Widerstande des Staats-
raths gescheitert war. Dabei mag erwähnt werden, daß durch
jene Verordnung zuerst in den Provinzen des Allgemeinen
Landrechts der Staatsanwalt eingeführt worden ist als defensor
matrimonü# und zur Verhütung von Collusionen der Parteien.
Ansprechender war das folgende Stadium der Bagatell-
prozesse, wo der ungeschulte junge Jurist wenigstens eine
Uebung im Aufnehmen von Klagen und Vernehmen von Zeugen