306 Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
er ursprünglich eine hohe Meinung hatte, die aus der Zeit
datirte, wo Sr. Majestät nur eine kronprinzliche Kritik der
Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner besserer Leistung,
zugestanden hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem
Gemal überlegen. Die ersten Zweifel an dieser geistigen Ueber-
legenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war, nicht mehr
nur zu kritisiren, sondern selbst zu handeln und die amtliche Ver-
antwortung für das Bessermachen zu tragen. Sobald die Auf-
gaben beider Herrschaften praktisch wurden, hatte der gesunde
Verstand des Königs begonnen, sich allmälig von der schlag-
fertigen weiblichen Beredsamkeit mehr zu emancipiren.
Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es sich für ihn nicht
um Conservativ oder Liberal in dieser oder jener Schattirung,
sondern um Königliches Regiment oder Parlamentsherrschaft
handle und daß die letztre unbedingt und auch durch eine Periode
der Dictatur abzuwenden sei. Ich sagte: „In dieser Lage werde
ich, selbst wenn Eure Moajestät mir Dinge befehlen sollten, die
ich nicht für richtig hielte, Ihnen zwar diese meine Meinung
offen entwickeln, aber wenn Sie auf der Ihrigen schließlich be-
harren, lieber mit dem Könige untergehn, als Eure Majestät
im Kampfe mit der Parlamentsherrschaft im Stiche lassen.“
Diese Auffassung war damals durchaus lebendig und maßgebend
in mir, weil ich die Negation und die Phrase der damaligen
Opposition für politisch verderblich hielt im Angesicht der natio-
nalen Aufgaben Preußens und weil ich für Wilhelm I. per-
sönlich so starke Gefühle der Hingebung und Anhänglichkeit
hegte, daß mir der Gedanke, in Gemeinschaft mit ihm zu Grunde
zu gehn, als ein nach Umständen natürlicher und sympathischer
Abschluß des Lebens erschien.
Der König zerriß das Programm und war im Begrifs, die
Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen,
als ich daran erinnerte, daß diese Papiere mit der bekannten
Handschrift in sehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand,