Stärke der dynastischen Anhänglichkeit in Deutschland. 333
Deutschen in den Frictionen europäischer Politik völkerrechtlich
zusammenhalten würde, auch nicht in der Form föderirter Hanse-
städte und Reichsdörfer. Die Deutschen würden fester geschmie-
deten Nationen zur Beute fallen, wenn ihnen das Bindemittel
verloren ginge, welches in dem gemeinsamen Standesgefühl der
Fürsten liegt.
Die geschichtlich am stärksten ausgeprägte Stammeseigen-
thümlichkeit in Deutschland ist wohl die preußische, und doch
wird Niemand die Frage mit Sicherheit beantworten können,
ob der staatliche Zusammenhang Preußens fortbestehn würde,
wenn man sich die Dynastie Hohenzollern und jede, die ihr
rechtlich nachfolgen könnte, verschwunden denkt. Ist es wohl
sicher, daß der östliche und der westliche Theil, daß Pommern,
Hanoveraner, Holsteiner und Schlesier, daß Aachen und Königs-
berg, im untrennbaren preußischen Nationalstaat verbunden, ohne
die Dynastie so weiter leben würden? Würde Baiern, isolirt
gedacht, geschlossen zusammenhalten, wenn die Wittelsbacher
Dynastie spurlos verschwunden wäre? Einige Dynastien haben
manche Erinnrungen, die nicht grade geeignet sind, die hetero-
genen Theile, aus denen diese Staaten geschichtlich gebildet sind,
mit Anhänglichkeit zu erfüllen. Das Land Schleswig-Holstein
hat garkeine dynastischen Erinnrungen, namentlich nicht im anti-
gottorpischen Sinne, und doch hat die Aussicht, einen selbstän-
digen kleinen Hof mit Ministern, Hofmarschällen und Orden
neu bilden zu können und auf Kosten der preußischen und
östreichischen Bundesleistungen eine kleinstaatliche Existenz zu
führen, recht starke particularistische Bewegungen in den Elb-
herzogthümern hervorgerufen. Das Großherzogthum Baden
hat seit dem Markgrafen Ludwig vor Belgrad i) kaum eine
dynastische Erinnrung; das rasche Anwachsen dieses kleinen
Fürstenthums unter französischer Protection im Rheinbunde,
1) Lies: Ofsen. Während der Belagerung von Belgrad Aug.-Sept.
1088 war Markgraf Ludwig in Bosnien.