Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Die neuen Minister: Roon, Mühler, zur Lippe. 345 
  
schäftliche Liebhaberei seiner gescheidten und, wenn sie wollte, 
liebenswürdigen Frau auf ihn wirkte und er ihrer stärkern 
Willenskraft vielleicht unterlag; ich wußte das anfangs aller- 
dings nicht aus directer Wahrnehmung, sondern konnte es nur 
nach dem Eindrucke schließen, den beide Persönlichkeiten mir im 
Verkehr gemacht hatten. Ich erinnre mich, daß ich schon in 
Gastein im August 1865 bis zur Unhöflichkeit darauf bestehn 
mußte, allein mit Herrn von Mühler über einen königlichen 
Befehl zu sprechen, ehe es mir gelang, die Frau Ministerin zu 
bewegen, uns allein zu lassen. Das Vorkommen einer solchen 
Nöthigung hatte seinerseits Verstimmungen zur Folge, die sich 
bei seiner sachkundigen Behandlung der Dinge auf mein ge- 
schäftliches Verhältniß zunächst nicht übertrugen, aber doch die 
Ergebnisse unfres persönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau 
von Mühler empfing ihre politische Direction nicht von ihrem 
Gemale, sondern von Ihrer Majestät, mit welcher Fühlung zu 
erhalten sie vor Allem bestrebt war. Die Hofluft, die Rang- 
fragen, die äußerliche Kundgebung Allerhöchster Intimität haben 
nicht selten auf Ministerfrauen einen Einfluß, der sich in der 
Politik fühlbar macht; die persönliche, der Staatsraison in der 
Regel zuwiderlaufende Politik der Kaiserin Augusta fand in 
Frau von Mühler eine bereitwillige Dienerin, und Herr 
von Mühler, wenn auch ein einsichtiger und ehrlicher Beamter, 
war doch nicht fest genug in seinen Ueberzeugungen, um nicht 
dem Hausfrieden Concessionen auf Kosten der Staatspolitik zu 
machen, wenn es in unauffälliger Weise geschehn konnte. 
Der Justizminister Graf zur Lippe hatte vielleicht von 
seiner Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, 
auch das Schärfste mit lächelnder Miene, mit einem höhnischen 
Ausdrucke von Ueberlegenheit zu sagen, und verstimmte dadurch 
die Parlamente und die Collegen. Er stand nächst Bodelschwingh 
am weitesten rechts unter uns und war in Vertretung seiner 
Richtung schärfer als dieser, weil er in seinem Ressort sachkundig
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.