352 Fünfzehntes Kapitel: Die Alvensleben'sche Convention.
Für Preußens deutsche Zukunft war die Haltung Ruß-
lands eine Frage von hoher Bedeutung. Eine polenfreund-
liche Richtung der russischen Politik war dazu angethan, die
seit dem Pariser Frieden und schon früher gelegentlich ange-
strebte russisch-französische Fühlung zu beleben, und ein polen-
freundliches, russisch-französisches Bündniß, wie es vor der
Julirevolution in der Luft schwebte, hätte das damalige Preußen
in eine schwierige Lage gebracht. Wir hatten das Interesse,
im russischen Cabinet die Partei der polnischen Sympathien,
auch solcher im Sinne Alexander's I., zu bekämpfen. Daß
Rußland selbst keine Sicherheit gegen die polnische Verbrüde-
rung gewährte, konnte ich aus den vertraulichen Gesprächen
entnehmen, die ich theils mit Gortschakow theils mit dem Kaiser
selbst hatte. Kaiser Alexander war damals nicht abgeneigt,
Polen theilweis aufzugeben; er hat mir das mit dürren
Worten gesagt, wenigstens mit Bezug auf das linke Weichsel-
ufer, indem er, ohne Accent darauf zu legen, Warschau aus-
nahm, das immerhin als Garnison in der Armee seinen Reiz
hätte und strategisch zu dem Festungsdreieck an der Weichsel
gehörte. Polen wäre eine Quelle von Unruhe und europäi-
schen Gefahren für Rußland, die Russificirung sei nicht durch-
führbar wegen der confessionellen Verschiedenheit und wegen
des Mangels an administrativer Befähigung der russischen
Organe. Bei uns gelinge es, das polnische Gebiet zu ger-
manisiren (7), wir hätten die Mittel dazu, weil die deutsche
Bevölkerung gebildeter sei als die polnische. Der Russe fühle
nicht die nöthige Ueberlegenheit, um die Polen zu beherrschen,
man müsse sich auf das Minimum polnischer Bevölkerung be-
schränken, welches die geographische Lage zulasse, also auf die
Weichselgrenze und Warschau als Brückenkopf.
Ich kann nicht darüber urtheilen, in wie weit diese Dar-
legung des Kaisers reiflich enwogen war. Mit Staatsmännern
besprochen wird sie gewesen sein, denn eine ganz selbständige,