Stellung Alexander's II. zur polnisch. Frage. Anerbieten Alexander's. 353
persönliche, politische Initiative mir gegenüber habe ich vom
Kaiser nie erfahren. Dieses Gespräch fand zu einer Zeit statt,
wo meine Abberufung schon wahrscheinlich war, und meine nicht
blos höfliche, sondern wahrheitsgemäße Aeußerung, daß ich
meine Abberufung bedauerte und gern in Petersburg bleiben
würde, veranlaßte den Kaiser mißverständlich zu der Frage,
ob ich geneigt sei, in russische Dienste zu treten. Ich verneinte
das höflich unter Betonung des Wunsches, als preußischer Ge-
sandter in der Nähe Sr. Majestät zu bleiben. Es wäre mir
damals nicht unlieb gewesen, wenn der Kaiser zu dem Zwecke
Schritte gethan hätte, denn der Gedanke, der Politik der neuen
Aera, sei es als Minister, sei es als Gesandter in Paris oder
London ohne die Aussicht auf Mitwirkung an unfrer Politik
zu dienen, hatte an sich nichts Verführerisches. Wie ich dem
Lande und meiner Ueberzeugung in London oder Paris würde
nützen können, wußte ich nicht, während mein Einfluß bei dem
Kaiser Alexander und den hervorragenden seiner Staatsmänner
nicht ohne Bedeutung für unfre Interessen war. Der Ge-
danke, Minister des Aeußern zu werden, war mir unbe-
haglich, etwa wie der Eintritt in ein Seebad bei kaltem Wet-
ter; aber alle diese Empfindungen waren nicht stark genug,
um mich zu einem Eingriff in die eigne Zukunft oder zu
einer Bitte an den Kaiser Alexander zu solchem Zwecke zu
veranlassen.
Nachdem ich dennoch Minister geworden war, stand zunächst
die innre Politik mehr im Vordergrunde als die äußre; in
dieser aber lagen mir die Beziehungen zu Rußland Dank meiner
jüngsten Vergangenheit besonders nahe, und ich war bestrebt,
unfrer Politik den Besitz an Einfluß in Petersburg, den wir
dort hatten, nach Möglichkeit zu erhalten. Es lag auf der
Hand, daß die preußische Politik in deutscher Richtung damals
von Oestreich keine Unterstützung zu erwarten hatte. Es war
nicht wahrscheinlich, daß das Wohlwollen Frankreichs für unfre
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I.