354 JZünfzehntes Kapitel: Die Alvensleben'sche Convention.
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Stärkung und die deutsche Einigung auf die Dauer ehrlich
sein werde, eine Ueberzeugung, die nicht hindern durfte, vor-
übergehende, auf irrthümlichen Berechnungen beruhende Unter-
stützung und Förderung Napoleon's utiliter 1) anzunehmen.
Mit Rußland waren wir in derselben Lage wie mit England,
insoweit als wir mit beiden prinzipielle divergirende Interessen
nicht hatten und durch langjährige Freundschaft verbunden
waren. Von England konnten wir platonisches Wohlwollen
und belehrende Briefe und Zeitungsartikel, aber schwerlich mehr
erwarten. Der zarische Beistand ging, wie die ungarische Ex-
pedition des Kaisers Nicolaus gezeigt hatte, unter Umständen
über die wohlwollende Neutralität hinaus. Daß er zu unsern
Gunsten das thun würde, darauf ließ sich nicht rechnen, wohl
aber lag es nicht außerhalb der möglichen Rechnung, daß Kaiser
Alexander bei französischen Versuchen zum Eingreifen in die
deutsche Frage uns in deren Abwehr wenigstens diplomatisch
beistehn würde. Die Stimmung dieses Monarchen, die mich
zu der Annahme berechtigte, hat sich noch 1870 erkennen lassen,
während wir damals das neutrale und befreundete England
mit seinen Sympathien auf französischer Seite fanden. Wir
hatten also nach meiner Meinung allen Grund, jede Sympathie,
welche Alexander II. im Gegensatz zu vielen seiner Unterthanen
und höchsten Beamten für uns hegte, wenigstens insoweit zu
pflegen, als nöthig war, um Rußlands Parteinahme gegen uns
nach Möglichkeit zu verhüten. Es ließ sich damals nicht mit
Sicherheit voraussehn, ob und wie lange dieses politische Kapital
der zarischen Freundschaft sich werde praktisch verwerthen lassen.
Jedenfalls aber empfahl der einfache gesunde Menschenverstand,
es nicht in den Besitz unfrer Gegner gerathen zu lassen, die
wir in den Polen, den polonisirenden Russen und im letzten
Abschluß wahrscheinlich auch in den Franzosen zu sehn hatten.
1) Aus Gründen der Nützlichkeit.