Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

360 Fünszehntes Kapitel: Die Alvensleben'sche Convention. 
  
Ein Abkommen politisch-militärischer Natur, welches Rußland 
mit dem germanischen Gegner des Panslavismus gegen den 
polnischen „Bruderstamm“" schloß, war ein entscheidender Schlag 
auf die Aussichten der polonisirenden Partei am russischen Hofe; 
und in diesem Sinne hat das militärisch ziemlich anodyne ½) 
Abkommen seinen Zweck reichlich erfüllt. Ein militärisches Be- 
dürfniß war dafür an Ort und Stelle nicht vorhanden; die 
russischen Truppen waren stark genug, und die Erfolge der 
Insurgenten existirten zum großen Theil nur in den von Paris 
bestellten, in Myslowitz fabrizirten, bald von der Grenze, bald 
vom Kriegsschauplatze, bald aus Warschau datirten, zuweilen 
recht märchenhaften Berichten, die zuerst in einem Berliner 
Blatte erschienen und dann ihre Runde durch die europälische 
Presse machten. Die Convention war ein gelungner Schach- 
zug, der die Partie entschied, die innerhalb des russischen Ca- 
binets der antipolnische monarchische und der polonisirende pan- 
slavistische Einfluß gegen einander spielten. 
Der Fürst Gortschakow hatte der polnischen Frage gegen- 
über zuweilen absolutistische, zuweilen — man kann nicht sagen 
liberale aber — parlamentarische Anwandlungen. Er hielt 
sich für einen großen Redner, war das auch und gefiel sich in 
der Vorstellung, wie Europa seine auf einer Warschauer oder 
russischen Tribüne entfaltete Beredsamkeit bewundern werde. 
Es wurde angenommen, daß liberale Concessionen, die den 
Polen eingeräumt würden, den Russen nicht vorenthalten werden 
könnten; die constitutionell gestimmten Russen waren schon des- 
halb Polenfreunde. 
Während die polnische Frage die öffentliche Meinung bei 
uns beschäftigte, und die Alvensleben'sche Convention die un- 
verständige Entrüstung der Liberalen im Landtage erregte, wurde 
mir in einer Gesellschaft bei dem Kronprinzen Herr Hinzpeter 
1) Bedeutungslos.
	        
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