Aus dem Briefwechsel Bismarck's mit Ludwig von Baiern. 417
dem Tode des Cardinals Franchin vollständig, in Erwartung
von Instructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erz-
bischof von Neocäsarea mitbrachte, verlangten Herstellung des
status quc ante 1870 in Preußen, factisch, wenn nicht vertrags-
mäßig. Derartige prinzipielle Concessionen sind beiderseits un-
möglich. Der Papst besitzt die Mittel nicht, durch welche er
uns die nöthigen Gegenleistungen machen könnte; die Centrums-
partei, die staatsfeindliche Presse, die polnische Agitation, ge-
horchen dem Papste nicht, auch wenn Seine Heiligkeit diesen
Elementen befehlen wollte, die Regirung zu unterstützen. Die
im Centrum vereinten Kräfte fechten zwar jetzt unter päpst-
licher Flagge, sind aber an sich staatsfeindlich, auch wenn die
Flagge der Katholicität aufhörte sie zu decken; ihr Zusammen-
hang mit der Fortschrittspartei und den Socialisten auf der
Basis der Feindschaft gegen den Staat ist von dem Kirchen-
streit unabhängig. In Preußen wenigstens waren die Wahl-
kreise, in denen das Centrum sich ergänzt, auch vor dem Kirchen-
streite oppositionell, aus demokratischer Gesinnung, bis auf den
Adel in Westfalen und Oberschlesien, der unter der Leitung
der Jesuiten steht und von diesen absichtlich schlecht erzogen
wird. Unter diesen Umständen fehlt dem römischen Stuhl die
Möglichkeit, uns für die Concessionen, die er von uns ver-
langt, ein Aequivalent zu bieten, namentlich da er über den
Einfluß der Jesuiten auf deutsche Verhältnisse gegenwärtig nicht
verfügt. Die Machtlosigkeit des Papstes ohne diesen Beistand
hat sich besonders bei den Nachwahlen erkennen lassen, wo die
katholischen Stimmen, gegen den Willen des Papstes, für socia-
listische Candidaten abgegeben wurden und der Dr. Moufang in
Mainz öffentlich Verpflichtungen in dieser Beziehung einging.
Die hiesigen Verhandlungen mit dem Nuntius können das Sta-
dium der gegenseitigen Recognoscirung nicht überschreiten; sie
1) Am 1. Aug. 1878 starb Cardinalstaatssekretär Franchi, wie ver-
muthet wurde, infolge Vergiftung.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 27