Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Aus dem Briefwechsel Bismarck's mit Ludwig von Baiern. 419 
  
Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbst- 
zweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Verhalten des 
Reichstags die verbündeten Regirungen der Nothwendigkeit 
überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals 
praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehr- 
heit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Ausdruck 
der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der 
deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, 
so tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. 
Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entschei- 
dung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei 
einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche 
und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die ver- 
bündeten Regirungen sein, sobald sie im Volke richtig ver- 
standen sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage 
nöthig, die nicht vor der Wintersession stattfinden kann. Das 
Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirekte Steuern ist in 
allen Bundesstaaten fühlbar und von deren Ministern in Heidel- 
berg!) einstimmig anerkannt worden. Der Widerspruch der 
parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der productiven 
Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. 
Eure Mocjestät bitte ich unterthänigst, diese kurze Skizze 
der Situation mit huldreicher Nachsicht aufnehmen und mir 
Allerhöchstdero Gnade ferner erhalten zu wollen 
v. Bismarck. 
Aus ganzem Herzen spreche ich Ihnen meinen aufrichtigen 
Dank für die so hochinteressante Darstellung der gegenwärtigen 
politischen Lage, welche Sie von Kissingen aus mir zu schreiben 
die Aufmerksamkeit hatten, sowie die Zielpunkte, welche Ihre 
große Politik sich für die nächste Zukunft gesetzt hat. Es ist 
mein innigster Wunsch, daß Kissingen und die Nachcur Sie im 
1) Conferenz in Heidelberg 5.—8. Aug. 1878.
	        
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