Die deutsche Einheit und Friedrich Wilhelm IV. 47
Stimmung der betheiligten Höfe eine Opferwilligkeit auf dem
Altar des Vaterlandes wie die französische vom 4. August 1789y
zu erwarten gewesen. Diese Auffassung entsprach den that-
sächlichen Verhältnissen; das militärische Preußen war stark und
intact genug, um die revolutionäre Welle zum Stehn zu bringen
und den übrigen deutschen Staaten für Gesetz und Ordnung
in Zukunft Garantien zu bieten, welche den andern Dynastien
damals annehmbar erschienen.
Der 18. März war ein Beispiel, wie schädlich das Eingreifen
roher Kräfte auch den Zwecken werden kann, die dadurch
erreicht werden sollen. Indessen war am 19. Morgens noch
nichts verloren. Der Aufstand war niedergeschlagen. Führer
desselben, darunter der mir von der Universität her bekannte
Assessor Rudolf Schramm, hatten sich nach Dessau geftüchtet,
hielten die erste Nachricht von dem Rückzuge der Truppen für
eine polizeiliche Falle und kehrten erst nach Berlin zurück,
nachdem sie die Zeitungen erhalten hatten. Ich glaube, daß
mit fester und kluger Ausnutzung des Sieges, des einzigen,
der damals von einer Regirung in Europa gegen Ausfstände
erfochten war, die deutsche Einheit in strengrer Form zu erreichen
war, als zur Zeit meiner Betheiligung an der Regirung schließ-
lich geschehn ist. Ob das nützlicher und dauerhafter gewesen
wäre, lasse ich dahingestellt sein.
Wenn der König im März die Empörung in Berlin defi-
nitiv niederwarf und auch nachher nicht wieder aufkommen ließ,
so würden wir von dem Kaiser Nicolaus nach dem Zusammen-
bruch Oestreichs keine Schwierigkeiten in der Neubildung einer
haltbaren Organisation Deutschlands erfahren haben. Seine
Sympathien waren ursprünglich mehr nach Berlin als nach
Wien gerichtet, wenn auch Friedrich Wilhelm IV. persönlich
1) In der Nachtsitzung vom 4.5. August 1789 beschloß die franzö-
sische Nationalversammlung auf den Antrag der Rechten die Abschaffung
oder Ablösbarkeit aller feudalen Rechte.