Leopold v. Gerlach. General v. Rauch. 55
von der besten Sorte, war er wiederholt als Militärbevoll=
mächtigter in Petersburg in der Diplomatie thätig gewesen.
Einmal war Rauch von Berlin in Sanssouci erschienen mit
dem mündlichen Auftrage des Ministerpräsidenten Grafen
Brandenburg, von dem Könige die Entscheidung über eine
Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der König, dem die
Entscheidung schwer wurde, nicht zum Entschluß kommen konnte,
zog endlich Rauch die Uhr aus der Tasche und sagte mit einem
Blick auf das Zifferblatt: „Jetzt sind noch zwanzig Minuten,
bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majestät doch nun be-
fehlen müssen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja sagen soll
oder Nee, oder ob ich ihm melden soll, daß Ew. Mgjestät nich
Ja und nich Nee sagen wollen.“ Diese Aeußerung kam heraus
in dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militärische
Diseiplin, als Ausdruck der Verstimmung, die bei dem klaren,
entschiednen und durch die lange fruchtlose Discussion ermüdeten
General erklärlich war. Der König sagte: „Na, denn meinet-
wegen Ja“, worauf Rauch sich sofort entfernte, um in beschleu-
nigter Gangart durch die Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nach-
dem der König eine Weile schweigend dagestanden hatte, wie
wenn er die Folgen der widerwillig getroffnen Entscheidung
noch erwöge, wandte er sich gegen Gerlach und mich und sagte:
„Dieser Rauch! Er kann nicht richtig Deutsch sprechen, aber
er hat mehr gesunden Menschenverstand als wir Alle,“ und
darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer verlassend:
„Klüger wie Sie ist er immer schon gewesen.“ Ob der König
darin Recht hatte, lasse ich dahingestellt; geistreicher war Ger-
lach, praktischer Rauch.
4.
Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die
Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen,
während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke,