Das neue Ministerium. Wrangels Einmarsch. 59
bewohnte. Derselbe war der Ansicht, daß das amtliche Domi-
zil der Gesandschaft zur Zeit in seiner Wohnung unter den
Linden sei, und ermächtigte mich, dem Obersten von Griesheim
zu schreiben, daß er die Wohnung „seines abwesenden Freun-
des“, des Grafen Knyphausen, für polizeiliche Zwecke zur Ver-
fügung stelle. Spät zu Bett gegangen, wurde ich um 7 Uhr
Morgens durch einen Boten Platen's mit der Bitte, ihn zu
besuchen, geweckt. Ich fand ihn sehr erregt darüber, daß eine
Abtheilung von etwa 100 Mann im Hofe seiner Wohnung,
also grade dort, wo er den Sitz der Gesandschaft bezeichnet
hatte, aufmarschirt war. Griesheim hatte wahrscheinlich den
durch meine Mittheilung veranlaßten Befehl irgend einem Be-
amten ertheilt, der das Mißverständniß angerichtet hatte. Ich
ging zu ihm und erwirkte den Befehl an den Führer der Ab-
theilung, die Knyphausensche Wohnung zu besetzen, was denn
auch geschah, nachdem es schon Tag geworden, während die
Besetzung der übrigen gewählten Häuser in der Nacht heimlich
erfolgt war. Vielleicht bewirkte grade der zufällige Anschein
offner Entschlossenheit, daß der Gensdarmenmarkt, als die
Minister sich in das Schauspielhaus begaben, ganz leer war.
Als Wrangel an der Spitze der Truppen eingezogen war
(10. November), verhandelte er mit der Bürgerwehr und bewog
sie zum freiwilligen Abzuge. Ich hielt das für einen politischen
Fehler; wenn es zum kleinsten Gefecht gekommen wäre, so
wäre Berlin nicht durch Capitulation, sondern gewaltsam ein-
genommen, und dann wäre die politische Stellung der Regirung
eine andre gewesen. Daß der König die Nationalversammlung
nicht gleich auflöste, sondern auf einige Zeit vertagte und nach
Brandenburg verlegte und den Versuch machte, ob sich dort
eine Majorität finden würde, mit der ein befriedigender Ab-
schluß zu erreichen war, beweist, daß in der politischen Ent-
wicklung, die dem Könige vorschweben mochte, die Rolle der
Versammlung auch damals noch nicht ausgespielt war. Daß