74 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
abweichende Meinung zum Schweigen!). Wie stark die östreichische
Armee im Frühjahr 1850 in Böhmen gewesen ist, wird heut
1) Ueber Radowitz urtheilt Bismarck in einem Brief an Scharlach
vom 4. Juli 1850: „Ueber Radowitz eristirt viel Irrtum in dieser
Welt. Die meisten halten ihn für eine dämonische Natur von groß-
artigen geistigen Hülfsquellen, die irgend welche geheime Zwecke mit
überlegener Geisteskraft und Energie verfolgt; das Düstre seiner süd-
slavischen Physiognomie, das Geheimnißvolle, in welches er sein Wesen
zu drapiren beliebt, bestärken in dieser Ansicht. Wenn ich auch von
ihm nicht sagen will, wie jener preußische General von Napoleon: uf
Ehre, en seelensguter Kerl, aber domm, domml! so ist doch Radowitz ein
Mann, der sich in nichts über das Niveau der Gewöhnlichkeit erhebt
als in einem erstaunlichen Gedächtniß, vermöge dessen er brockenweis
ein umfangreiches Wissen in ihm der That nach fast unbekannten Fächern
affectirt und recht gute Reden für die Gallerie und das Centrum aus-
wendig lernt, auch hat er die schwachen Seiten unfres allergnädigsten
Herrn gut studirt, weiß ihn durch Miene und große Worte zu impo-
niren und seinen Edelmuth und Schwäche auszubeuten. Im Uebrigen
ist R. als Privatmann eine anständige Persönlichkeit, ein vortrefflicher
Familienvater, als Politiker aber ohne irgend eine eigne Idec, von
kleinen Expedients lebend, nach Popularität und Beifall haschend, ge-
trieben von einer immensen persönlichen Eitelkeit, von Zeitungsdekla-
mationen und von der sogenannten öffentlichen Meinung, die doch nichts
ist als die Oberflächlichkeit derjenigen constitutionellen Schreier, die sich
am unverschämtesten geltend zu machen wissen .. Ich würde in meinem
Urtheil über R. weniger sicher sein, wenn es nicht durch das von sehr
gescheuten Leuten bestätigt würde, welche ihn seit einem Menschenalter
sehr genau kennen.“ (Vom jungen Bismarck. Ein Briefwechsel, Wei-
mar, Alex. Duncker Verlag, 1912 S. 112 f.) Vgl. dazu Brief Bismarcks
an seinen Bruder vom 12. Oktober 1850 (Bismarckbriefe, herausgegeben
von Horst Kohl, 8. Aufl. S. 90: „Radowitz, von dem ich noch immer
logl. Brief an Frau v. Bismarck vom 29. Sept. 1850: der große Be-
trüger, der eigentlich ein edler, ctwas beschränkter Mensch istl, behaupte,
daß er ein edler Mensch ist, aber etwas bornirt") und sein Urtheil über
Radowitz als Redner in der Rede vom 21. Mai 1869, Politische Reden
IV 234. — Nach Keudell, Fürst und Fürstin Bismarck S. 37 urtheilte
Bismarck im März 1862 bei einem kleinen Diner über die Bestrebungen
von Radowitz günstiger als früher: wenn er im Jahre 1849 die seit
13 Jahren gewonnene politische Erfahrung gehabt hätte, würde er
Radowitz unterstützt haben. Nur habe seiner Politik die unerläßliche
Voraussetzung eines befriedigenden Zustandes der Armee gefehlt. Bei