Radowitz. Bismarck und Grai Brandenburg. 75
wohl feststehn; daß sie zur Olmützer Zeit erheblich mehr als
100000 Mann betrug, habe ich annehmen müssen nach den
vertraulichen Mittheilungen, die mir der Kriegsminister im
November desselben Jahres machte ½).
Die nähere Berührung, in welche ich in Erfurt mit dem
Grafen Brandenburg trat, ließ mich erkennen, daß sein preußi-
scher Patriotismus vorwiegend von den Erinnrungen an 1812
und 1813 zehrte und schon deshalb von deutschem National-
gefühl durchsetzt war. Entscheidend blieb indeß das dynastische
und borussische Gefühl und der Gedanke einer Machtvergröß-
rung Preußens. Er hatte von dem Könige, der schon damals
auf seine Weise an meiner politischen Erziehung arbeitete, den
Auftrag erhalten, meinen etwaigen Einfluß in der Fraction
der äußersten Rechten für die Ersurter Politik zu gewinnen,
und versuchte das, indem er mir auf einem einsamen Spazier-
gange zwischen der Stadt und dem Steigerwalde sagte: „Was
kann bei der ganzen Sache Preußen für Gefahr laufen? Wir
der großen Mehrzahl der Abgecordneten und auch bei Personen der
leitenden Kreise habe der unbegreifliche Irrthum geherrscht, daß sich
Oesterreich ohne Kampf aus Deutschland würde verdrängen lassen. —
Bei den Freunden Bismarck's hieß Radowitz „der große Magier“
(Brief an Frau v. Bismarck vom 26. Sept. 1850): „der große Be-
trüger" (Brief an Frau v. Bismarck vom 29. Sept. 1850), „le mauvais
génie de la Prusse“ (Brief an den Bruder vom 23. Jan. 1850). — In
den Briefen Bismarcks tritt der Zweifel an dem Gelingen des Drei-
königsbündnisses, genau entsprechend der oben im Texte in den Worten
tempus utile enthaltenen Darstellung erst mit dem Ende des ungarischen
Aufstandes und dem damals von Oesterreich veranlaßten Abfall Sachsens
und Hannovers auf (Brief an Frau v. Bismarck vom 22. August 1849,
an den Bruder vom 8. September 1819); in der Folge wirkte Bismarck
in der Kammer (6. September 1849), in Zeitungsartikeln (Brief an Frau
v. Bismarck vom 31. August 1810) und sonst gegen die Radowitzischen
Pläne. — Sympathische Urtheile über die Person von Radowitz s. bei
Abeken, Ein schlichtes Leben S. 207 (zum 3. November 1850) und
S. 225 (zum 10. Januar 1854).
1) S. u. S. 78 f.