60 Dritter Teil: Organisation des Bundes.
nicht entziehen, daß es für die Folge auf die alte Kontroverse nicht
mehr ankommen könne, sondern daß diese beseitigt werden müsse und
zwar in dem Sinne, daß das Reich kraft seiner Legislative berechtigt
7 auf Grund der Abstimmung im Bundesrate und Reichstag über Ver-
assungsänderungen und insonderheit auch über Kompetenzerweiterungen
zu beschließen.“
Eine Kompetenzerweiterung erfolgte auf Grund des Art. 78 in
mehreren konkreten Fällen.
Ueber die Frage, ob eine Angelegenheit in den Kompetenzbereich
des Reiches gehört oder nicht, entscheiden die gesetzgebenden Faktoren
desselben. Im Zweifel streitet die Vermutung für die Zuständigkeit der
Bundesstaaten. (Sten. Ber. 1867, S. 240 M.
II. Iu Besoenberen.
Inmerhalb des Bundesgebietes übt das Reich das Recht der
Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts der Reichsver-
fassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landes-
gesetzen vorgehen. (Sten. Ber. 67 I, S. 1521 und Reichs-Verfassung Art. 2 u. 78.)
Außerdem hat das Reich das Recht der Beaufsichtigung gegenüber
den Einzelstaaten in Ansehung der ihm zugewiesenen Angelegenheiten, sei
es nun, daß es vom Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat oder noch
nicht. (Sten. Ber. 1867, S. 815).
Das Gesetzgebungsrecht des Reiches ist teils ein ausschließliches;
in einem solchen Falle steht den Einzelstaaten nicht zu, Gesetze oder Ver-
ordnungen zu rlassen; teils konkurrent (fakultativ), in welchem Falle
die Einzelstaaten solange und soweit die betreffende Materie durch Gesetz
oder Verordnung erledigen können, als dies nicht vom Reice geschehen
ist. Ausschließlich ist es, entweder wenn es als solches in der Reichs-
sorrsasune ausdrücklich bezeichnet ist, oder wenn gesagt ist, der Gegen-
stand sei als einheitlicher zu betrachten. Ersterer Art sind Art. 35, 52,
4 Ziff. 10 und 48—52, 4 Ziff. 7 und 14, 53, 54, 56, 57. Letzterer
Art: Art. 3, 4 Ziff. 1, 3—6, 9, 11 bis 13, 15, 16.
In allen Fällen, in welchen zwischen den Bestimmungen der bayerischen
Verträge und dem Texte der Deutschen Verfassungsurkunde eine Ver-
schiedenheit besteht, haben für Bayern lediglich die ersteren Geltung und
Verbindlichkeit.
Der Reichsgesetzgebung unterliegen nach Art. 4 der Reichs-Ver-
fassung die nachstehenden Angelegenheiten:
1. Die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats= und Nieder-
lassungsverhältnisse, Staatsbürgerrecht, Paßwesen und die Fremden-
polizei und über den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungs-
wesens, soweit diese Gegenstände nicht schon durch den Art. 3 der
Reichsverfassung erledigt sind (also einschließlich jener Gegenstände)
(Sten. Ber. 67, S. 250 unten), in Bayern jedoch mit Ausschluß der