Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

E Sonderstellung der Volksvertreter. 427 
Wenn das Strafgesetzbuch eine Straflosigkeit ausspricht, so ist daher 
gCrundsätzlich anzunehmen, daß es sich nur auf das ordentliche Straf- 
recht, nicht aber auf das Disziplinarverfahren bezieht. Im vorliegen- 
den Falle ist jedoch die Annahme, als könnte ein Volksvertreter, der 
yleichzeitig Beamter ist, wegen seiner Aeußerung in dem Hause zur 
disziplinaren Verantwortung gezogen werden, durch die Fassung des 
§l 11 Str.-G.-B. ausgeschlossen. Denn in der ausgesprochenen recht- 
lichen Unverantwortlichkeit außerhalb der Kammer liegt auch das Ver- 
bot des Disziplinarverfahrens wegen Aeußerungen in der Ausübung 
des Berufes als Volksvertreter. Dem Disziplinarverfahren gleich steht 
ein ehrengerichtliches Verfahren kraft öffentlichen Rechtes gegen Nicht- 
beamte, z. B. gegen Rechtsanwälte oder Aerzte. 
Die Stellung zur Disposition ist dagegen keine Disziplinarmaß- 
regel, wenn sie auch von dem Beamten als Nachteil empfunden 
werden mag, sondern nur Feststellung der Tatsache, daß der poli- 
tische Beamte mit den Ansichten der leitenden Stelle nicht über- 
einstimmtz). . 
Dagegen kann man nicht behaupten, daß eine Verletzung des 
§ 11 Str.-G.-B. darin liege, wenn ein Abgeordneter auf Grund von 
Aeußerungen, die er in der Kammer getan, als Zeuge vorgeladen 
wird, um die in der Kammer behaupteten Tatsachen zeugenmäßig zu 
bekundeno?). Unter der Verantwortung ist nach dem hergebrachten 
Wortsinne nichts als die Einleitung eines strafrechtlichen oder diszipli- 
naren Verfahrens zu verstehen. Ein Zeuge kann nun allerdings 
wegen Zeugnisverweigerung bestraft werden. In diesem Falle erfolgt 
aber die Bestrafung gar nicht wegen der in der Kammer getanen 
NAeußerung, sondern wegen einer selbständigen, außerhalb ihrer vor- 
Lefallenen strafbaren Handlung, nämlich der Verweigerung des Zeug- 
nisses vor Gericht. Aber selbst wenn man in der Vorladung zur 
Ablegung eines Zeugnisses ein Ziehen zur Verantwortung sehen wollte, 
so geschähe die Vorladung doch nicht wegen der in der Kammer getanen 
Aeußerungen. Es ist möglich, daß diese das Gericht bzw. die Staats- 
anwaltschaft auf die Wissenschaft des Zeugen aufmerksam machen, der 
s) Maßregelung der konservativen Kanalgegner, die politische Be- 
amte waren, 1899. Sie war nicht gegen den Wortlaut, wohl aber 
gegen den Geist der Verfassung und des Gesetzes, also politisch zu be- 
anstanden. Uebereinstimmend Hubrich, Parlamentarische Immunität 
und Beamtendisziplin, Berlin 1901. 
") Anderer Ansicht v. Rönne-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 377.
	        
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