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heit, durch eine entscheidende Tat die nationale Geschlossenheit des
deutschen Volkes zu retten. Nachdem sie verpaßt war, vermochte
nichts mehr die revolutionäre Entwicklung aufzuhalten.
Nach diesen Erkignissen, die der Sozialdemokratie zeigten, wie
weit bereits der revolutionäre Vergiftungsprozeß fortgeschritten war,
hielt sie die Zeit für gekommen, auch ihrerseits sich wieder an die
revolutionären Traditionen ihrer Vergangenheit zu erinnern, wozu ihr
der zum 14. Oktober 1917 nach Würzburg einberufene Parteitag
die willkommene Gelegenheit bot.
Die Ausführungen der verschiedenen sozialdemokratischen Führer
auf diesem Parteitag geben ein so vollkommenes Bild der politischen
Charakterlosigkeit der Sozialdemokratie, wie es wohl selten geboten
worden ist. Am schärfsten tritt der Gegensatz in die Erscheinung, einer-
seits sich die revolutionären Chancen nicht aus der Hand gehen,
andererseits die Konjunktur, die sich der Sozialdemokratie aus ihrem
Zusammengehen mit den bürgerlichen Linksparteien bot, nicht un-
genutzt zu lassen.
In seiner Begrüßungsansprache im Großen Saal des Hutten-
schen Gartens prägte Ebert den Satz:
„Schlägt dann die Stunde, in der das Schicksal unseres
Volkes neu geschmiedet wird, dann wird am Amboß des Neuen
die Sozialdemokratie ihren Mann stellen.“
Er wußte damals so wenig wie die ganze Sozialdemokratie, daß sie
überhaupt nicht über Männer verfügte, sondern nur über Partei-
emporkömmlinge, die sich den ihnen gestellten Aufgaben später in
keiner Weise gewachsen zeigten.
In dem Bericht des Parteivorstandes auf dem ersten Verhand-
lungstag, den Ebert hielt, finden sich verschiedene Auslassungen,
die zweifellos von historischem Interesse sind. Eingangs erklärte
Eberti:
„In prinzipieller Feindschaft zum Klassencharakter des Staates
brauchen wir doch positive Erfolge und Einfluß auf die Gesetz-
gebung und Verwaltung, um den Arbeitern Raum im Staate
zu verschaffen und den kapitalistischen Händen den Hebel der
Staatsmaschine allmählich zu entwinden.
1 „Vorwärts“, 16. Oktober 1917.