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Der revolutionäre Mut der Sozialdemokratie stieg zusehends, und
bereits am 6. November 1917 schrieb der „Vorwärts"“ ganz offen:
„Warum noch Krieg? — Wir müssen uns heute darüber klar
sein, daß die eigentliche und tiefste Ursache, daß es so ungeheuer
schwer ist, zum Frieden zu kommen, in den militärischen Erfolgen
Deutschlands liegt.“
Am nächsien Tage, dem 7. November 1917, stellten sich in Rußland
die Bolschewisten an die Spitze der Revolution, die unter ihrer Füh-
rung am 13. November 1917 einen vollkommenen Sieg errang. Am
14. November erließ die neue russische Regierung einen „Aufruf an
die Regierungen und Völker der verbündeten Länder“, und am
15. November traf die Friedensdelegation der Mittelmächte in Brest-
Litowstk ein.
Vom 19. bis 23. November tagte in Bern eine Konferenz der
pazifistischen Zentralorganisationen für einen dauernden Frieden, an
der deutscherseits Erzberger, Bernstein, Gothein, Heine, Niemeyer,
Schücking, Piloty und Quidde teilnahmen. Es ist auch hier wieder
bezeichnend, daß die Entente durch Abwesenheit glänzte.
Das Kennzeichnendste dieser Tagung aber sind die Ausführungen
des Professors Quidde, der sagte 1:
„Ein Friede ohne Annexionen und Entschädigungen tut uns
not; es darf weder Sieger noch Besiegte geben. Das Verhängnis=
vollste, was Deutschland widerfahren könnte, wäre ein über-
wältigender, endgültiger Sieg, der im Innern die Alldeutschen
und jenseits der Grenzen die Revanche-Idee stärkte."
Offensichtlicher ist noch zu keiner Zeit und in keinem Krieg Hoch-
verrat am eigenen Volk begangen worden. Während man in den
Ländern der Entente sich wirksam gegen solche Verbrecher zu schützen
wußte, sah man in Deutschland in solchem Hochverrat die sicherste
Empfehlung zur ministeriellen Reife für das parlamentarische System,
und wenn es auch Quidde nicht geschafft hat, so verstand es doch
wenigstens Erzberger, die Karriere bis zum Staatssekretär zu bringen.
Am 1. Dezember 1917 sandten Trotzki und Lenin den Funkspruch
„An die Völker der kriegführenden Länder“ in die Welt.
1 „Deutsche Tageszeltung“, 13. Dezember 1917.