— 116 —
Am 28. August 1918 hielt der damalige Staatssekretär des Kolo-
nialamtes Dr. Solf, seine viel beachtete Rede in der „Deutschen Ge-
sellschaft“, die besonders in der demokratischen Presse, voran das
„Berliner Tageblatt“, freudig begrüßt wurde1.
Am 30. August erschien bei dem Reichskanzler Grafen Hertling der
österreichische Botschafter Prinz von Hohenlohe, um ihm mitzuteilen,
daß der österreichische Minister des Dußern Graf Burian zu dem
Entschluß gekommen sei, selbständig in der Frage der Beendigung
des Krieges vorzugehens.
Zur richtigen Beurteilung dieses ungeheuer bedeutungsvollen und
nicht minder verhängnisvollen Schrittes ist es notwendig, auf die
damalige militärische Lage der Mittelmächte kurz einzugehen.
Die im Sommer 1918 unternommene Offensive im Westen, die
anfänglich zu bedeutenden militärischen Erfolgen geführt hatte, wurde
nach dem Luftstoß auf die französischen geräumten Stellungen bei
Reims nicht nur zum Stillstand gebracht, sondern durch den ein-
setzenden Flankenangriff Fochs in ihr Gegenteil verkehrt. Die Oberste
Heeresleitung sah sich gezwungen, die Front zurückzunehmen. Die
weltgeschichtliche Bedeutung dieses Rückzuges liegt nicht in der Tat-
sache der Umstellung der militärischen Strategie von der Offensive
auf die Defensive, sondern in dem Ausbruch der politischen
Panik in der Heimat, der zuersi die Mehrheitsparteien des Parla-
ments und schließlich das ganze Volk zum Opfer fiel. Die spätere
offensichtlich überstürzte Handlung der Obersten Heeresleitung hin-
sichtlich eines sofortigen Waffenstillstandsangebotes resultiert letzten
Endes aus dieser politischen Panik der Heimat. Ihre verderblichen
Folgen treten zuerst im Felde in der Tatsache in Erscheinung, daß vor-
1 Solf führte u. a. aus: „Ich bin aber der fesien Überzeugung, daß vor
Kriegsende überall eine geistige Auflehnung gegen diese knock-out-Gesinnung
kommen muß und kommen wird. Sonst bleibt die Verwirklichung der Völker-
liga ein utopisches Kriegsziel
Sehen Sie, meine Herren, die Gesinnung des Ausrottungskrieges zu er-
halten, das gerade ist der Zweck solcher Reden, wie die den Herrn Balfour.
Die psychologische Situation, aus der heraus der britische Staatsmann
handelte, ist klar: Die Feinde wollen keinen Frieden durch Verhandlungen.“
(Es ist auffallend, in welchem Gegensatz zu diesen Erkenntnissen später Solf
als Außenminister die deutsche Politik führte.)
2# Hertling, „Ein Jahr in der Reichskanzlel“, S. 160.