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einen Staatssekretär ohne Portefeuille. Kennzeichnend für die poli-
tische Moral dieser parlamentarischen Minister ist der Ausspruch
Scheidemanns, der in einer sozialdemokratischen Vorstandssitzung,
in der abermals der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung
diskutiert wurde, sagte:
„Wie kommen wir dazu, in diesem Augenblick der größten
Verzweiflung in ein bankerottes Unternehmen hineinzugehen?“
Das war der Geist der Führer des neuen Deutschland!
Die Ernennung des Prinzen Max von Baden erfolgte am 3. Ok-
tober 1918. Einen Tag später war die erste parlamentarische Re-
gierung gebildet.
Die entscheidende Grundfrage des Kabinetts des Prinzen Max
von Baden war die Frage der sofortigen Einleitung von Waffenstill-
stands= und Friedensverhandlungen, wie sie die Oberste Heeresleitung
in kategorischer Form am 29. September 1918 bereits verlangt hatte.
Zweifellos war dieser Schritt der Obersten Heeresleitung übereilt
und zeugt dafür, daß man sich von der politischen Panik der Heimat,
die durch den am 30. September erfolgten Zusammenbruch der bul-
garischen Front ins Groteske gewachsen war, hatte anstecken lassen.
Das ist auf keinen Fall entschuldbar, aber es ist durchaus verständlich,
wenn man bedenkt, daß an ebendemselben Tage Scheidemann im
Hauptausschuß des Reichstages, der an diesem 29. September 1918
im Saale des Bundesrats tagte, ausrief:
„Verkennen Sie doch nicht vollkommen die Situation, machen
Sie sich doch bitte mit dem Gedanken vertraut, daß hier viel-
leicht sehr bald ein Arbeiter= und Soldatenrat seine Sitzungen
abhalten wird.“
Das sagte ein Mann, der sich vier Tage später vom Kaiser zum
Staatssekretär ernennen ließ, und der nie um die Tatsache herum-
kommen wird, eingestehen zu müssen, daß die Annahme seiner Be-
rufung entweder eine Heuchelei oder aber seine Politik ein Verrat
an seiner Überzeugung war!
Das Kabinett des Prinzen Max von Baden war von Anfang an
unfähig, die Frage der Friedensverhandlungen zu lösen. Unfähig aus
1 „Vorwärts“, 5. Oktober 1919.