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Unteroffiziere erbärmlich gelöhnt, jammervoll verpflegt und bekleidet werden,
meist in elenden Quartieren hausen, das finden die „Herren Kameraden“ ganz
in der Ordnung. Denn — „wir sind ein einig Volk von Brüdern“.
Kameraden, ist es Lüge oder Wahrheit, das Wort:
„Gleiche Löhnung, gleiches Essen,
Und der Krieg wär' längst vergessen 177
Als der Krieg ausbrach, behauptete die Regierung, es sei ein Verteidigungs-
krieg. Der Kaiser selbst erklärte feierlich vor aller Welt: „Uns treibt nicht Er-
oberungssucht.“
Kameraden, was sehen wir jetzt? Man mißbraucht uns zu den wildesten
Eroberungeplänen. Blicken wir nach Osten! Rußland hat der Welt vertrauens-
voll den Frieden angeboten und forderte in seinem schönen, offenen Friedens-
programm das freie Selbstbestimmungsrecht der Völker und Ausschluß der
Eroberungen und Entschädigungen.
Wag, aber tat die deutsche Regierung? Mit niederträchtiger Scheinheiligkeit
ging sie anfangs auf die russischen Vorschläge ein, um hinterher die unerhörte-
sten Bedin gungen zu stellen und von der Regierung des sozialistischen Rußlands
gewaltige Gebietsabtretungen zu erpressen.
Wir sehen weiter, wie seit Monaten die deutsche Heeresleitung das revo-
lutionäre, freie Rußland zu erdrosseln sucht. Livland, Estland, Finnland, die
Ukraine werden planmäßig unter die Gewalt preußisch-deutscher Bajonette und
Maschinengewehre gestellt, und die Grenzen werden täglich weiter nach Zentral-
rußland hinein verschoben. Alle Freiheiten, die die russische Revolution den
Ländern brachte, hat man zerfetzt, zerrissen. Die Gründe des Vorgehens gegen-
über Rußland? Kameraden, darüber müssen wir uns im klaren sein. Unsere
Machthaber wollen kein starkes, freies, sozialistisches Rußland aufkommen
lassen. Sie fürchten, daß neben einem innerlich und äußerlich freien, entwicklungs-
kräftigen Rußland das preußische Junkerregiment, das bureaukratisch-kapita-
listische Regierungssystem auf die Dauer dem deutschen Volke unerträglich
werden wird. Ece ist die Furcht, die schlotternde Angst vor der Revolution des
deutschen Volkes, was unsere Machthaber treibt, die russische Freiheit zu fesseln
und wenn möglich zu erschlagen.
Was aber bei aller Gewaltanwendung nicht erreicht wird, das sucht man
durch verzerrte und lügnerische Meldungen über die inneren Zustände Rußlands
zu erzielen. Indem man die Revolutionstruppen, die roten Garden, als Räuber-
und Mörderbanden hinstellt, will man die russischen Revolutionäre bei uns in
Mißkredit und um jede Achtung und Sympathie bringen.
Kameraden! Laßt euch darum nicht wie Kinder, die man mit dem schwarzen
Bock schreckt, vor der Revolution graulich machen!
Aber eine weitere Frage erhebt sich: „Sollen wir weiter die Henker und Blut-
hunde der Revolution sein? Wollen wir die unfühnbare Ehrlosigkeit auf uns
laden, Mörder der russischen Freiheit zu sein?“ Kein ehrliebender Mann darf
solchen Schimpf, solche unauslöschliche Schande auf sich laden. Das freie Ruß-
land ist die Hoffnung der in Sklavenketten gebannten Welt.
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