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Dieses Manifest mußte über kurz oder lang den offenen Bruch
innerhalb der Partei nach sich ziehen, und es erscheint geradezu ver-
wunderlich, daß sich dieser Prozeß einer reinlichen Scheidung noch bis
ins nächste Frühjahr hinschleppen konnte. Immerhin hatte diese
öffentliche Diskussion den Erfolg, daß die Parteimehrheit sich wieder
einmal veranlaßt sah, auch ihrerseits ein wenig zu manifestieren, und
so veröffentlichte sie am 25. Juni 1915 im „Vorwärts"“ ein Friedens-
manifest, in dem es hieß:
„Im Namen der Menschlichkeit und Kultur, gestützt auf die
durch die Tapferkeit unserer Volksgenossen in Waffen ge-
schaffene günstige Kriegslage, fordern wir die Regierung auf,
ihre Bereitwilligkeit kundzutun, in Friedensverhandlungen ein-
zutreten, um dem blutigen Kriege ein Ende zu machen.“
Es ist überhaupt kennzeichnend für die ganze Entwicklung der
Mehrheitssozialdemokraten, daß sie, gezwungen durch die immer
radikalere Haltung der revolutionädren Opposition, in genau ent-
sprechenden Abständen auch ihre Stellungnahme im revolutio-
nären Sinn, ohne Aufsehen zu erregen, zu ändern versucht. Es mögen
hier einige wenige Beispiele dafür genügen.
bedeuten. Ein wirklicher und dauernder Friede ist nur möglich auf der Grund-
lage freier Vereinbarung. Diese Grundlage zu schaffen, ist nicht
der Sozialdemokratie eines einzelnen Landes gegeben. Aber jede einzelne Partei
kann nach Maßgabe ihrer Stellung und ihrer Kräfte dazu beitragen, daß diese
Grundlage hergestellt wird.
Die gegenwärtige Gestaltung der Dinge ruft die deutsche Sozialdemokratie
auf, einen entscheidenden Schritt zu diesem Ziele zu
tun. Sie ist heute vor die Wahl gestellt, diesem Gebote Folge zu leisten oder dem
Vertrauen einen tödlichen Stoß zu versetzen, das sie bisher im deutschen Volke
und in der gesamten Welt als Verfechterin des Völkerfriedens
genoß.
Wir zweifeln nicht, daß unsere Partei diejenigen Folgerungen ziehen wird,
die sich für unsere parlamentarische und außerparlamentarische Haltung bieraus
ergeben. Mit den schönsten Uberlieferungen der Sozialdemokratie steht die
Zukunft unseres Volkes auf dem Spiel, seine Wohl-
fahrt und seine Freiheit. Hat unsere Partei nicht die Macht, die
Entscheidungen zu treffen, so fällt doch uns die Aufgabe zu, als treibende Kraft
die Politik in der Richtung vorwärtszudrängen, die wir als die richtige erkannt
haben.“