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Forderungen aufstellte1!, die dem Reichskanzler übermittelt wurden
(Faksimile 23).
Charakteristisch bei diesem Streik, an dem in Berlin fast 200 000
Arbeiter teilnahmen, ist wieder die Haltung der Mehrheitssozialdemo-
kraten. Sie unternahmen nichts, um dem Streik energisch ent-
gegenzutreten, und den Aufruf an die Munitionsarbeiter, den General
Groener als Cbef des Kriegsamtes erließ, brachten sie erst dann im
„Vorwärts“ — und zwar in Petit druck unter der Rubrik „olitische
UÜbersicht“ — als sie die Möglichkeit hatten, gleichzeitig damit ihre
Kritik zu veröffentlichen. Diese Kritik bestand in den Reden der Ge-
nossen Wels, Hoch und Bauer, die sie während der Militärdebatte
im Hauptausschuß des Reichstags gehalten hatten. Wels hatte
die Ansicht vertreten, „daß nicht die mindeste Veranlassung zu diesem
Erlaß bestanden habe". Hoch erklärte, daß man so zu frei denkenden
Arbeitern nicht sprechen könne, und der Abgeordnete Bauer konsta-
tierte unter dem Schutz seiner Immunität:
„Für Befehle von einer militärischen Stelle haben die
Arbeiter kein Verständnis, sie lachen über eine solche Sprache.
Damit könne man ihnen nicht imponieren.“
Diese Art der Stellungnahme zu den Ereignissen ist für die Hal-
tung der Sozialdemokratie charakteristisch. Zu feige, um die Ver-
antwortung am Streik mitzutragen, gefiel sie sich nach der Beseitigung
der Gefahr in um so wütenderen Angriffen auf die leitenden mili-
1 Die sieben Forderungen des Leipziger Arbeiterrates lauteten:
1. Ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit billigen Lebensmitteln
und Kohlen.
L. Eine Erklärung der Regierung zur sofortigen Friedensbereitschaft unter
Verzicht auf jede offene und versteckte Annexion.
3. Aufhebung des Belagerungszustandes und der Zensur.
4. Sofortige Aufhebung aller Schranken des Koalitions-, Vereins= und
Versammlungerechtes.
5. Sofortige Aufhebung des schändlichen Arbeitszwangsgesetzes.
6. Sofortige Befreiung der wegen politischen Vergehens Inhaftierten und
Verurteilten, Niederschlagung der politischen Strafverfahren.
7. Volle staatsbürgerliche Freiheit, allgemeines, gleiches, geheimes und
direktes Wahlrecht zur Wahl für alle öffentlichen Körperschaften im Reich, in
den Bundesstaaten und in den Gemeinden.