Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE „BRAVE BÜRGERSCHAFT" 269 
sondern auch ihren Kalifen, d. h. den Statthalter Gottes, verehrten, für 
andere Länder vorbildlich sein könnte. Der Segen des Himmels ruhe sicht- 
bar auf der Türkei, auch wirtschaftlich wäre das Land in blühendem 
Zustand. 
Als wir mit der Eisenbahn nach Berlin zurückfuhren, meinte der Kultus- 
minister Dr. Bosse mir gegenüber, er sei tief erschüttert durch die kaiser- 
liche Ansprache. Er habe mit einer größeren Anzahl Geistlicher um die 
gleiche Zeit wie der Kaiser und ungefähr auf demselben Wege Palästina 
und Syrien besucht. Er habe überall Armut, Verwahrlosung und Mißregie- 
rung konstatiert. Wie sei es möglich, daß sich der Kaiser, ein so hochbegab- 
ter Herr, in solchen Illusionen bewege? Fürst Hohenlohe fühlte sich wieder 
an Ludwig II. von Bayern erinnert, der für die Inseln im Ägäischen Meer 
geschwärmt habe und das prosaische Bayern gern für sie eingetauscht hätte. 
Ich möchte auch bei diesem Anlaß wiederholen, daß nach meiner festen 
Überzeugung der Kaiser geistig nicht anormal war, wohl aber oberflächlich, 
sehr impressionabel, ohne Kritik gegenüber der eigenen Phantasie, ohne 
Hemmungen und darum allerdings oft der Spielball wechselnder Eindrücke. 
Am 1. Dezember hielt der Kaiser mit der Kaiserin einen feierlichen 
Einzug in Berlin. Er wurde vom Bürgermeister am Brandenburger Tor 
begrüßt, dem er erklärte, daß er auf seiner Orientreise schöne und mächtige 
Eindrücke auf dem Gebiete der Religion, der Kunst und Industrie gewon- 
nen habe. Das eine könne er dem Bürgermeister sagen, daß er den deutschen 
Namen überall, in allen Ländern und allen Städten, geschätzt und 
geachtet gefunden hätte wie nie zuvor. Der Bürgermeister möge der „bra- 
ven Bürgerschaft“ seinen Dank übermitteln. Der Kaiser hatte in seiner 
großen Liebenswürdigkeit meine Frau und ihre gerade bei ihr weilende 
Mutter Donna Laura Minghetti aufgefordert, sich seinen Einzug von dem 
Balkon des Niederländischen Palais anzusehen. Donna Laura, die einen 
scharfen Verstand besaß, übrigens Kaiser Wilhelm II. schon wegen seiner 
Güte für ihre Tochter und für mich sehr liebte, sagte mir, nachdem sie sich 
den Einzug angeschen hatte: Ein Monarch täte besser, sich eine solche 
„Entree triomphale‘ nur nach einem gewonnenen Kriege zu erlauben. Es 
sei ein großes Glück für Deutschland und für Europa, daß der Kaiser fried- 
lich gesinnt sei. Aber Einzüge wie dieser, nach einer Reise, deren Arrange- 
ment Cook übernommen habe, hätten etwas Ridiküles. 
Während ich im Orient weilte, erhielt meine Frau aus Windsor Castle 
mehrere Briefe von der ihr so gütig gesinnten Kaiserin Friedrich, die dort 
zu Besuch bei ihrer Mutter weilte. Unter anderem schrieb sie: „Dearest 
Marie — the only reason why I regret not being at Berlin — is that I can 
have no little chats with you! L’inverno a Berlino mi pare sempre tanto 
tristo, adesso piü che mai! I would be very grateful to escape one of these 
Einzug 
in Berlin 
Briefe 
der Kaiserin 
Friedrich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.