334 ENGLISCHE POLITIK
in bewundernden Ausführungen über englische Konzerte. Der gleichfalls
anwesende englische Schriftsteller Sidney Whitman, ein guter Kenner und
bis zum Weltkrieg ein Bewunderer von Deutschland, der auch im Hause
des Fürsten Bismarck verkehrt hatte, der Verfasser der bekannten Bücher
„Imperial Germany“ und „The Habsburg Realm“, meinte lächelnd: „Von
Musik verstehen wir Engländer nicht viel, wir sind durchaus unmusikalisch,
im kleinsten deutschen Nest wird bessere Musik gemacht und ist mehr wirk-
liches Verständnis für diese Kunst vorhanden als in England in allen eng-
lischen Häusern after dinner und selbst in Londoner Konzerten. Aber auf
anderen Gebieten sind wir euch Deutschen über: wir haben ein verträg-
licheres, ein viel vornehmeres innerpolitisches Leben als ihr.‘“ Und nun
erzählte er einen Vorgang, dem er im englischen Parlament beigewohnt
hatte. Der Sohn von Joseph Chamberlain sollte seinen Maiden-speech im
Unterhause halten. Als der junge Mann, sichtlich befangen, einige Minuten
gesprochen hatte, sab Mr. Gladstone zum Sprecher des Hauses auf und
erbat das Wort. Nun war Chamberlains Vater wohl der Mann, von dem
Gladstone in seinem Leben am grausamsten enttäuscht, am bittersten
angegriffen und bekämpft worden war. Unruhig rückte Chamberlains Vater
auf seinem Sitz hin und her in der Meinung, daß Gladstone seinen Spröß-
ling übel zurichten würde. Der alte Gladstone aber erhob sich, nachdem der
junge Chamberlain seine Rede beendigt hatte, um mit seiner wohllautenden
Stimme das Haus dazu zu beglückwünschen, daß wieder einmal, wie so oft
in der englischen Geschichte, ein hervorragender Vater einen seiner wür-
digen Sohn dem Parlament und dem Lande geschenkt habe. Darin läge,
wie in allem, was die Kontinuität fördere, eine der Grundlagen der eng-
lischen Größe. Er hoffe, daß dem Sohne Chamberlains eine seines Namens
würdige und dem Lande nützliche Laufbahn bevorstehe. Nebenbei gesagt,
hat sich dieser Wunsch des greisen William Gladstone erfüllt. Als Glad-
stone so sprach, lief Joseph Chamberlain eine Träne über die Wange, wie
man behauptet, die einzige, die er in seinem Leben vergossen habe. „Und
nun“, schloß Mr. Sidney Whitman, „vergleichen Sie mit diesem Schauspiel
die Szene, als Herbert Bismarck als Staatssekretär im Reichstag debütierte
und Fortschrittler, Sozialisten und Zentrumsleute, Eugen Richter an der
Spitze, durch Zwischenrufe und Lachen den Sohn des größten deutschen
Staatsmannes aller Zeiten in Verlegenheit zu bringen suchten.“ Als ich
diese Reminiszenz vernahm, dachte ich an jenes Wort, das der französische
Botschafter in Berlin sprach, als 1895 der Deutsche Reichstag dem Fürsten
Bismarck die Ehrung zu seinem achtzigsten Geburtstag verweigerte: „Les
Allemands diront et feront ce qu’ils voudront, ils ne seront jamais un grand
peuple.“
Bevor ich England verließ, schrieb ich dem Fürsten Hohenlohe und