EDUARD VIL. UND DAS DEUTSCHE PUBLIKUM 335
Herrn von Holstein längere Briefe, in denen ich ihnen meine Eindrücke
mitteilte. Ich schrieb unter anderem: „Die englischen Politiker kennen
wenig den Kontinent. Manche von ihnen wissen von kontinentalen Zu-
ständen nicht viel mehr als wir von den Verhältnissen in Peru oder Siam.
Sie sind auch nach unseren Begriffen ziemlich naiv in ihrer unbefangenen
Selbstsucht wie in einer gewissen Vertrauensseligkeit. Sie glauben schwer
an wirklich böse Absichten der anderen, sie sind sehr ruhig, sehr pomadig,
sehr optimistisch. Der südafrikanische Krieg regt die Leute in Berlin mehr
auf als die Londoner politischen Kreise. Kein Mensch zweifelt daran, daß
England gut aus der Affäre herauskommen wird. Das Land atmet Reich-
tum, Behäbigkeit, Zufriedenheit und Vertrauen in die eigene Kraft und
Zukunft. Man merkt, daß die Leute nic den Feind im Lande gesehen haben
und gar nicht glauben können, daß es je wirklich schiefgehen könnte, weder
im Innern noch nach außen. Mit Ausnahme von wenigen „leading men“
arbeiten sie wenig und lassen sich zu allem Zeit. Es ist ein physisch und
moralisch sehr gesundes Land. Im allgemeinen ist es zweifellos, daß die
Stimmung in England viel weniger antideutsch ist als die Stimmung in
Deutschland antienglisch. Darum sind diejenigen Engländer für uns am
gefährlichsten, die wie Chiroll und Saunders aus eigener Anschauung die
Schärfe und Tiefe der unglückseligen deutschen Abneigung gegen England
kennen. Wenn das englische Publikum über die in Deutschland gerade jetzt
herrschende Stimmung klar sähe, würde das eine große Wandlung in seiner
Auffassung des Verhältnisses von Deutschland zu England herbeiführen.“
Diese Wandlung trat bei einem der maßgebendsten Engländer, dem damali-
gen Prinzen von Wales, erst ein, als er, König geworden, bei dem Besuch,
den er Ende Februar 1901 seiner sterbenden Schwester, der Kaiserin
Friedrich, in Cronberg abstattete, deutschen Boden betrat und ihm dort
in der Presse und selbst bei seiner Reise durch Deutschland von seiten des
auf den Bahnhöfen versammelten Publikums eine wahre Welle von poli-
tisch sinnloser, aber nach deutscher Art erschreckend intensiver und tiefer
Abneigung gegen England entgegenbrandete.
Ich füge endlich noch den amtlichen Bericht bei, den der Botschafter
Graf Hatzfeldt über den Verlauf des Kaiserbesuchs in England unter dem
2. Dezember 1899 an den Reichskanzler Hohenlohe richtete: „Yon dem
über Erwarten harmonischen Verlauf der Festtage des Allerhöchsten
Besuchs in Windsor und Sandringham haben Eure Durchlaucht bereits
Nachricht erhalten. Ich möchte indes nicht versäumen, auch meinerseits
der festen Zuversicht Ausdruck zu geben, daß der unter so glücklichen
Auspizien wiederhergestellte herzliche Verkehr zwischen unserem erhabe-
nen Monarchenpaar und seinen hohen Anverwandten auch für die Zukunft
segensreiche Folgen mit sich bringt, insofern er dazu beitragen wird, das
Bülow an
Hohenlohe
und Holstein