XXIX. KAPITEL
Indiskretion am Berliner Hofe - Wilhelm II. und die Fremden » Der Lotse von Bari
Das Sprechbedürfnis des Kaisers und seine Harmlosigkeit in Gesprächen - Einberufung
des Reichstags - Debatte über die ostasiatische Expedition (19. XI. 1900) - Erstes
Auftreten als Reichskanzler im Reichstag
n den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts hatte die Über-
legenheit der preußischen Politik namentlich gegenüber Frankreich zum
Teil auch darauf berubt, daß der Tuilerien-Hof sehr indiskret war, daß
fremde Diplomaten dort von Kammerherren und Hofdamen manches
erfuhren, daß die Kaiserin Euge£nie in ihrer spanischen Lebhaftigkeit, der
Kaiser Napoleon III. in seiner träumerischen, den Realitäten des Lebens
abgewandten Art manches sagten, was sie besser für sich behalten hätten.
Dagegen herrschte am Hofe Kaiser Wilhelms I. die strengste Diskretion,
die der König nicht nur sich selbst zur Pflicht gemacht hatte, sondern auf
die er bei seiner ganzen Umgebung und bei allen seinen Dienern hielt. Jetzt
war es umgekehrt. Man hörte selten von Indiskretionen am englischen Hof.
Die Königin Victoria beehrte Fremde fast niemals mit politischen An-
sprachen, und der Prinz von Wales war so besonnen und so schlau, daß er
gelegentlich Ausländern deren Geheimnisse entlockte, aber selbst nur sagte,
was er sich genau überlegt hatte. Am Berliner Hofe war die Kaiserin
Auguste Viktoria sehr diskret, sie sprach nur mit ihrer allernächsten Um-
gebung über Politik, und auch dann mit Reserve und Vorsicht. Um so
mehr sprach der Kaiser, und gerade mit Fremden sprach er besonders gern.
Sie amüsierten und interessierten ihn mehr als die eigenen Untertanen.
Er hoffte auch, auf diesem Wege dem Ausland im Licht eines großen
Fürsten zu erscheinen.
Die Berichte der fremden Vertreter in Berlin wimmelten während der
ganzen Regierungszeit Wilhelms II. von zum Teil exzentrischen, zum Teil
sehr unvorsichtigen Auslassungen des Monarchen. Mein alter Freund und
Regimentskamerad, der Kabinettsrat der Kaiserin, Bodo von dem Knese-
beck, erzählte mir gelegentlich die nachstehende kleine Episode. Gegen
Ende meiner Kanzlerzeit, 1908 oder 1909, hatte der Kaiser im Frühjahr
die immer mit Ungeduld erwartete Reise nach seinem geliebten schönen
Kaiserliche
Improvisa-
tionen