DER BESUCH IN HIGHCLIFFE 307
er hervorhob, daß das englisch-japanische Bündnis gegen kein anderes
Land gerichtet wäre. England sei bereit, ähnliche Abmachungen mit anderen
Ländern über Angelegenheiten abzuschließen, die sie und England direkt
angingen. Die Abmachungen mit Rußland bezweckten die Sicherung der
indischen Grenze, die Sicherung des Friedens zwischen England und Ruß-
land, und würden dazu beitragen, den Frieden der ganzen Welt zu sichern.
Auch die orientalische Frage, insbesondere die Wirren in Mazedonien wür-
den das Konzert der europäischen Mächte nicht stören. Was die deutschen
Flottenbauten angehe, so wolle er diese in keiner Weise kritisieren. Wenn
andere Nationen ihre Flotte vergrößerten, so müsse England die seinige
auch vergrößern. Doch brauche sich England nicht in besondere Unkosten
zu stürzen, noch sich über Flottenausgaben irgendeines anderen Landes zu
beunruhigen. Einige Tage vorher hatten 136 liberale Unterhausmitglieder
dem Premierminister Campell-Bannerman eine Denkschrift überreicht,
worin sie die Herabsetzung der Ausgaben für Heer und Marine vorschlugen.
Wenn die Kaiserreise nach England den besten Verlauf genommen und
zweifellos Gelegenheit geboten hatte, die friedlichen Wünsche der großen
Mehrheit des englischen wie des deutschen Volks zum Ausdruck zu bringen,
50 war ich weniger erfreut über das, was ich über Stimmung und Reden des
Kaisers während seines Besuchs in Highcliffe hörte, der schön gelegenen
Besitzung des englischen Obersten Stewart Wortley auf der anmutigen
Insel Wight, dem Garten Englands. Während der Kaiser dort weilte, wur-
den im Reichstag von dem Führer des Zentrums, dem Abgeordneten Spahn,
die Enthüllungen zur Sprache gebracht, die der Prozeß Moltke-Harden über
Unsittlichkeiten zutage gefördert hätte, die an das heidnische Rom er-
innerten. Er rügte, daß zwei besonders schuldige Offiziere, GrafLynar und
GrafHohenau, mit Pension entlassen worden wären, sprach aber ausdrück-
lich dem Kaiser und dem Kronprinzen für ihr rasches Einschreiten seinen
Dank aus. Ich erwiderte*, daß die im Prozeß Harden-Moltke zur Sprache
gebrachten sittlichen Verfehlungen auch mich mit Ekel und Scham
erfüllten, aber ich müsse mich gegen die Auffassung wenden, als ob das
Der Harden-
Molike-
Prozeß vor
dem Reichstag
deutsche Volk und das deutsche Heer in ihrem innersten Kern nicht voll- °
kommen gesund wären. So wie es niemanden gäbe, der an dem sittlichen
Ernst unseres Kaiserpaares zweifle, das in seinem Familienleben dem Lande
ein schönes Vorbild gebe, so sei auch das deutsche Volk kein Sodom, und in
der deutschen Armee herrschten nicht Zustände wie im sinkenden römi-
schen Kaiserreich. Die Volksvertretung könne sich darauf verlassen, daß
gerade unser Kaiser mit scharfem Besen alles ausfegen werde, was nicht zur
Reinheit seines Wesens und seines Hauses passe. Was die Klagen über
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe II, 250ff.; Kleine Ausgabe IV, 301.
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