Direktiven
Jayows
158 HORRIBILE DICTU
zutreffender wäre der Vergleich mit törichten Knaben, die mit einer Granate
spielen, ohne zu wissen, daß sie geladen ist und bei täppischer Berührung
explodieren kann.
Wenn Bethmann die Entschuldigung hatte, daß er tatsächlich von
Diplomatie und auswärtiger Politik nichts verstand, so konnte der Staats-
sekretär von Jagow nicht einmal diese mildernden Umstände geltend
machen. Er gehörte schon an zwanzig Jahre dem diplomatischen Dienst an.
Weit entfernt, den Kanzler von ungeheuerlichen Fehlern abzuhalten,
bestärkte Jagow seinen Chef durch seine blinde Vorliebe für das „aristo-
kratische‘ Österreich in allen Dummbeiten. Auch Jagow glaubte (horribile
dictu) nicht entfernt an die Möglichkeit eines Krieges. Er hatte fünf Tage
vor der Übergabe des Ultimatums, am 18. Juli 1914, an den Botschafter
in London ein Schreiben gerichtet, um ihn über die gegen Serbien geplante
Aktion zu orientieren. Österreich, hieß es in diesem Schreiben, wolle sich
endlich und endgültig mit seinem kleinen Nachbarn Serbien auseinander-
setzen und habe dies in Berlin zur Kenntnis gebracht. Wir könnten und
dürften Österreich nicht in den Arm fallen. Wir müßten aber trachten, den
Konflikt zwischen Österreich und Serbien zu lokalisieren. Je entschlossener
sich Österreich zeige, je energischer wir es stützten, um so eher werde
Rußland still bleiben. Einiges Gepolter in Petersburg werde zwar nicht
ausbleiben, aber im Grunde sei Rußland noch nicht kriegsbereit. Frank-
reich und England würden jetzt auch keinen Krieg wünschen. Nachdem
Jagow dann die seit Jahrzehnten bekannten und trotz Bismarck immer
wiederholten Scheingründe für einen prophylaktischen Krieg noch einmal
ins Feld geführt hatte — Rußland werde in einigen Jahren schlagfertiger
sein als jetzt, inzwischen werde die deutsche Gruppe immer schwächer, das
Slawentum immer deutschfeindlicher —, erklärte er trotzdem: „Ich will
keinen Präventivkrieg; aber wenn der Kampf sich bietet, dürfen wir nicht
kneifen. Ich hoffe und glaube auch heute noch, daß der Krieg sich lokali-
sieren läßt!“ Am Schlusse des Briefes wurde Lichnowsky angewiesen,
darauf hinzuwirken, daß die englische öffentliche Meinung sich nicht für
Serbien erhitze. Man müsse in dieser Richtung tun, was irgend möglich sei,
obwohl von Sympathie und Antipathie bis zur Entfachung eines Welt-
brandes doch noch ein weiter Weg wäre. Wenn Sir Edward Grey logisch und
ehrlich sei, müsse er der kaiserlichen Regierung beistehen, den Konflikt zu
lokalisieren. So Jagow am 18. Juli an Lichnowsky. So derselbe Jagow am
selben Tag zum bayrischen Geschäftsträger Schön, dem Neffen des Bot-
schafters, als der Vertreter des zweitgrößten Bundesstaates im Auftrage
der bayrischen Regierung ihm mitteilte, der russische Gesandte in München,
Herr von Boulatzeff, habe dem Grafen Hertling „a titre d’ami“ durch
einen Vertrauensmann wörtlich sagen lassen: „La Russie ne permettra