Bei Borchardt
mit Herbert
Bismarck
Gespräch
über Marie
Dönhoff
584 EIN GESTÄNDNIS
innersten Kern ideale Verhältnis zwischen unserm alten Kaiser und dem
großen Minister, der sich auf seinem Grabstein stolz-bescheiden nur den
treuen deutschen Diener seines Herrn nennt.
Einige Tage nach der Geburtstagsfeier seines Vaters forderte mich
Herbert auf, einen „gemütlichen“ Abend mit ihm bei Borchardt zu
verbringen, in dem von ihm mit Recht bevorzugten Berliner Restaurant in
der Französischen Straße. Er wünschte meine Ansicht über die Lage der
Dinge in Rußland zu hören, und zwar „en detail“. Ich gebe meine Dar-
legungen hier nur im Extrakt wieder. Ich führte etwa aus: „Solange die
schwere Hand von Alexander III. auf Rußland liegt, wird dort alles beim
alten bleiben. Jetzt schläft das Riesenreich. In seinem schönen Roman
„Neuland‘ läßt Turgenjew seinen Helden, den Nihilisten Neshdanow, in
einem ärmlichen Zimmer über einen dreibeinigen Tisch gebeugt und bei
dem spärlichen Schein eines Talglichtes seinen politischen Gefühlen in
einem Gedicht Ausdruck geben, dessen letzte Verse lauten:
_ und in der Hand
Das Branntweinglas, das Haupt dort an den Pol geschlossen,
Die Füße an den Kaukasus, o Vaterland,
So schläfst du, heil’ges Rußland, fest und unverdrossen!
Rußland schläft. Aber wird es immer schlafen? Und wenn es erwacht,
was dann? Der sechzehnjährige Thronfolger, den ich bei verschiedenen
Gelegenheiten sah und beobachtete, macht einen wohlerzogenen, distin-
guierten, aber weichen, fast zarten, keineswegs energischen Eindruck.
Daraus folgt, daß wir, wie es uns der Fürst immer wieder einschärft, jetzt
unsere Politik auf Alexander III. einstellen müssen, mit dem wir nach meiner
Überzeugung sehr wohl in Frieden und Freundschaft leben können. Nach
ihm dürfte eine Revolution in Rußland ebenso möglich, wie ich meine
sogar wahrscheinlicher sein als ein russischer Angriff auf die Zentralmächte.
Alles das natürlich unter der Voraussetzung, daß wir in der Wilhelmstraße
auch fernerhin eine geschickte und vorsichtige Politik machen.“
Als ich fühlte, daß zwischen Herbert und mir sich im Laufe des Abends
jene undefinierbare Atmosphäre von Sympathie, Freundschaft und Ver-
trauen gebildet hatte, die junge Männer zueinander zieht, sprach ich ihm
von meinem Entschluß, die Gräfin Marie Dönhoff zu heiraten. Er hatte
schon davon gehört. Vielleicht von Holstein, dem ich ein Jahr vorher
darüber geschrieben hatte, vielleicht durch Klatschereien, denen ja niemand,
und namentlich keine schöne und geistreiche Frau, entgeht. Herbert hatte
aber anscheinend die Sache nicht au serieux genommen. Als er den Ernst
meines Entschlusses erkannte, sah er mich erstaunt an, verlegen, zunächst
stumm. In ihm kämpften zweierlei Empfindungen. Auf der einen Seite