Full text: Die Weltgeschichte. Zweiter Theil. Das Mittelalter. (2)

König Theodorich. Seine Macht und Staatsweisheit. 5 
nahm er ein Drittheil der Ländereien in Anspruch, indem er eine förm- 
liche Theilung des Besitzes zwischen Römer und Gothen durchführte. 
Die Römer mußten dem Ackerbau, den Gewerben, dem Handel, der 
Kunst und Wissenschaft leben, während jene, auf Ackerbau und Vieh- 
zucht beschränkt, den Waffen treu bleiben und Italiens Heer und Land- 
wehr bilden sollten (also eine Kriegerkaste). Er selbst schätzte Kunst und 
Wissenschaft (er hatte als Geißel längere Zeit in Konstantinopel gelebt), 
unterstützte die Schulen in Rom und anderen Städten, verwandte große 
Summen auf die Erhaltung und Wiederherstellung der römischen Bau- 
werke, verschloß aber seinen Gothen den Zugang zu der höheren römi- 
schen Kultur, weil er glaubte, die Schulzucht und die Beschäftigung mit 
den Wissenschaften schwäche den kriegerischen Geist. Deßwegen waren 
seine Minister und Gesandten meistens Römer, so z. B. leitete Liberius 
die Vertheilung der für die Gothen bestimmten Grundstücke, Kassiodor, 
ein sehr reicher, gebildeter und strengkatholischer Geschäftsmann, war 
sein erster Minister und Reichskanzler. 
Die Civilgewalt in einer Provinz hatte der römische Praeses, die 
Militärgewalt ein Gothe (mit dem römischen Amtsnamen Dux oder 
dem vornehmeren Comes). Neben dem römischen Praeses bestand eine 
eigene gothische Obrigkeit, welche in Streitigkeiten zwischen Gothen nach 
gothischem Rechte richtete, in Streitigkeiten zwischen Gothen und Römern 
mit Zuziehung eines römischen Beamten nach eigens zu diesem Zwecke 
von Theodorich erlassenen Gesetzen entschied. Er unterwarf auch die 
Gothen der gleichen Besteuerung wie die Römer, so daß jenen einzig 
das Vorrecht des Kriegsdienstes blieb, um welches sie die unkriegerische 
römische Bevölkerung keineswegs beneidete. Obgleich Theodorich wie 
das ganze gothische Volk Arianer war (ohne Zweifel hatte dies der Einfluß 
arianischer oströmischer Kaiser, z. B. des Valens bewirkt), so kränkte 
er doch die kirchlichen Rechte der Katholiken nicht im mindesten, ehrte 
den Papst und nahm im Jahre 500 einen sechsmonatlichen, von Festen 
und Spenden verherrlichten Aufenthalt in Rom. 
Theodorichs Macht und Staatsweishett. 
In seinen Beziehungen zu den anderen Herrschern bewies er eben 
so viele Klugbeit als Festigkeit. Mit den königlichen Geschlechtern der 
Vandalen, Westgothen, Burgunder, Franken und Thüringer trat er in 
Blutsfreundschaft, den König der Heruler (diese hausten damals in 
Oberpannonien) nahm er in seinen Schutz auf und richtete sein Haupt- 
bestreben dahin, den Frieden zwischen den germanischen Reichen zu er- 
halten sowie Italien vor neuen Stürmen zu sichern. Die Vandalen 
traten ihm gutwillig Sicilien, Malta, Korsika und Sardinien ab, weil 
diese Inseln von der Natur zu Schutzwehren für die italienischen Küsten
	        
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