10 Die Reformation. Religionskriege. Verfall Deutschlands 2c.
Dr. Karlstadt und Thomas Münzer (1521).
Von Luther wurde laut verkündet, daß der Papst der Antichrist
und die Bischöfe dessen Apostel seien; daß das arme Volk durch die
langen Jahrhunderte hindurch dem Teufel in den Rachen geführt, des
Evangeliums beraubt und um die christliche Freiheit gebracht worden
sei. Er gab zwar nicht genau an, zu welcher Zeit denn die chrtstliche
Kirche von Gott verlassen und des Teufels geworden sei, ob im ersten,
zweiten, dritten oder vierten Jahrhundert, jedenfalls frühe, denn Luther
erklärte den Kanon der Messe, der nachweisbar in seiner jetzigen Ge-
stalt schon im Anfange des fünften Jahrhunderts bestand, für gottes-
lästerlich, lügenhaft, von tollen Pfaffen gemacht, als etwas, vor dem
man sich entsetzen möge wie vor dem Teufel selbst. Es hatte also reich-
lich tausend Jahre gedauert, bis endlich Luther der Herrschaft des Anti-
christs entgegentrat, denn wenn auch Wiklef und Huß gegen die Kirche
gelehrt hatten, so war doch keiner so weit gegangen wie Luther, und
namentlich hatte keiner den Kern von Luthers Evangelium, die gänzliche
Nutzlosigkeit der guten Handlungen, eingesehen, beide hatten noch man-
ches als Glaunbenssatz anerkannt und gelehrt, was Luther als Unsinn
oder Teufelswerk verwarf. Luther stellte sich demnach als ein neuer
Apostel auf, dessen Sendung darin bestand, die alte Kirche niederzu-
reißen und auf den Grundlagen seiner Lehre eine neue zu erbauen; aber
auf der andern Seite erhoben sich nun Männer, die wie er in der
Bibel forschten, sich wie er für ihren Glauben auf die Bibel beriefen
und sich wie er zu keinem Widerrufe entschließen konnten, man wider-
lege sie denn aus der Bibel. Dies waren die Wiedertäufer, die
Iwickauer Propheten, welche behaupteten, ohne „den Glauben“ könne
es kein Sakrament geben, daher sie die Erwachsenen tauften und sich
von Luthers Freund Philipp Melanchthon keines andern belehren
ließen. Zu gleicher Zeit war Luthers anderer Freund, Dr. Karlstadt,
auf eigene Faust vorwärts gegangen; er schaffte die Messe ab, reichte
das Abendmahl in beiden Gestalten, donnerte gegen Ceremonien und
Bilder und gab Veranlassung, daß Kirchen ausgeräumt, die Bilder zer-
schlagen und verbrannt, Meßgewänder zerrissen wurden u. s. w. Das
geschah zwar etwas unmanierlich, aber als ganz natürliche Folge von
Luthers Lehre, denn wenn dies alles nichts taugte oder gar heidnisch
und abgöttisch war, warum es länger dulden? Und wenn die Kloster-
gelübde so nichtswürdig und gegen Gottes Wort waren, wie Luther
verkündete, was konnten die Mönche und Nonnen, die damals aus den
Klöstern entliefen, wohl besseres thun? Doch das gefiel Luthern nicht;
er kam von der Wartburg nach Wittenberg (März 1522), predigte eine
Woche lang gegen die „Schwarmgeister" und da ihn der Kurfürst unter-