Der russische Feldzug. 375
auserlesener Krieger mit 1200 Geschützen gegen Rußland, unter treff-
lichen Feldherren und erprobten Offizieren; ein Geist militärischer Ehre
durchdrang diese Heeresmassen, wie sie nur die Phalanren Aleranders
und die Legionen Cäsars in alter Zeit beseelte. Im Mai 1812 wellte
der Eroberer zehn Tage in Dresden und empfing hier den Besuch des
Kaisers von Oesterreich, des Königs von Preußen und der Rheinbund-=
fürsten; dann ging er zur „großen Armee“ und verkündete die Ersff-
nung des „zweiten polnischen Krieges"“. Durch seinen Gesandten in
Warschau (de Pradt, Erzbischof von Mecheln) rief er einen Reichstag
der polnischen Nation zusammen, der sich zur polnischen Generalkon=
föderation erklärte und die Wiederherstellung des Königreichs aussprach.
Napoleon bestätigte dies, nahm aber Galizien aus, welches Oesterreich
vertragsmäßig verbleiben sollte, wenn ihm Napoleon nicht Illyrien zu-
rückgab, wozu er keine Lust hatte.
Vom 22. bis 25. Juni ging der Gewaltshaufen unter Napoleon,
mehr als 200,000 Mann stark, an drei Punkten über den Niemen.
Den linken Flügel, dem die Preußen zugetheilt waren, etwa 40,000
Mann stark, führte Makdonald über den Fluß; sein Ziel war Riga.
Rechts von der Hauptmacht ging Hieronymus Bonaparte mit
100,000 Mann bei Grodno über den Niemen; den äußersten rechten
Flügel, gegen 50,000 Mann, bei dem die Oesterreicher und die meisten
Sachsen standen, kommandierte Schwarzenberg und drang über den
Bug gegen Podolien vor. Napoleon mußte jedoch zu seinem Verdrusse
wahrnehmen, daß er es diesesmal mit einer ganz neuen Art von Kriegs-
führung zu thun habe; die Russen zogen sich vor ihm zurück; die Be-
völkerung wich von dem Heerwege seitwärts in die Waldungen aus und
nahm Vieh und Lebensmittel mit sich. Die Soldaten trafen nur die
elenden, halb oder ganz verlassenen Dörfer und es bemächtigte sich ihrer
auf dem öden langen Zuge ein unheimliches Vorgefühl. Der Hunger,
die vielfachen Entbehrungen, die Kämpfe in den Wäldern machten die
Soldaten wüthend, während Krankheiten unter ihnen furchtbar aufräum-
ten; sie brannten die verlassenen Dörfer nieder, zerstörten die Feldfrüchte
auf dem Halme und beraubten so ihre nachziehenden Kameraden der
wenigen Hilfsmittel, welche das Land darbot, so daß das französische
Heer schon an der Düna bereits um ein Drittel schwächer war als am Nie-
men. Das russische Hauptheer unter Barklay de Tolly zog sich zurück
und zerstörte die Magazine, die es nicht fortschaffen konnte. Zu einer Haupt-
schlacht konnte es Napoleon nicht zwingen, so sehr er auch vorwärts
eilte; ebenso wenig gelang es ihm, den rechten russischen Flügel unter
Bagration abzuschneiden. Andererseits mißlang den Russen der Ver-
such bei Mohilew (22. Juli) den rechten französischen Flügel, und bei
Polozk (17. und 18. August) den linken zurückzudrängen, wodurch das